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„Jeder Mob versucht Einfluß auf die Politik zu nehmen“

Kurzinterviews mit Dagobert Lindlau, Erich Pätzold und Dieter Schenk über organisierte Kriminalität und deren Bezug zur Politik  ■ I N T E R V I E W

Herr Lindlau, wie muß organisierte Kriminalität bekämpft werden?

Man muß zunächst die Zeugen schützen. Organisiertes Verbrechen setzt nämlich auf die Strategie der Angst und der Einschüchterung. Dann ist es wichtig, die kriminellen Profite abzuschöpfen. Das trifft das organisierte Verbrechen am Lebensnerv. Schließlich muß man sich überlegen, wie man eine regelrecht organiserte Beweisnot durch eine Beweisbeschaffung durchdringt, die innerhalb unserer rechtsstaatlichen Möglichkeiten liegt. Es hat immer verdeckte Fahndung gegeben. Sie muß also nicht erst eingeführt werden, nur soll sie sachkundiger werden. Es kann nicht angehen, daß Berufskriminelle vor der Verurteilung mit der Unschuldsvermutung durchkommen. Irgendwann muß man berufsmäßige „Mobster“ einfach dadurch aus dem Verkehr ziehen können, daß man sich intensiver der Beweisbeschaffung widmet.

Wird die Gefahr des organisierten Verbrechens immer noch unterschätzt?

Von der Polizei seit einiger Zeit nicht mehr, das Ausmaß der Bedrohung ist klar, aber ob die Öffentlichkeit das auch weiß? Tatsache ist, daß jeder von uns mitzahlt, durch Versicherungsprämien, den Verlust an Menschenleben, vor allem durch die politische Entmündigung. Jeder Mob versucht Einfluß auf die Politik zu nehmen.

Herr, Pätzold, was kennzeichnet für Sie die organisierte Kriminalität?

Sie hat einen mehr oder weniger engen Bezug zur Politik. Mindestens zu einzelnen Politikern, und das geht bis in die höchsten Regierungskreise. Wir haben das in Berlin unter dem Namen 'Antes‘ erlebt. Es wurden Spenden angenommen, die bis heute nicht belegt sind. Leuten, die sich als absolut korrupt erwiesen, wurde bis zum Schluß die Stange gehalten. Amtsträger haben Staatsanwälte und Polizei nicht ermutigt, zuzugreifen, und erfolgreiche Ermittler wurden alles andere als gut behandelt.

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen die Strafverfolgungsbehörden von den jeweils Regierenden trennen, die einzelnen Instrumente verschärfen. Das Bank und Steuergeheimnis darf nicht mehr gelten, wenn ein dringender Tatverdacht für Großverbrechen besteht. Die Welt ginge auch nicht unter, wenn man Spenden an Parteien verbieten würde.

Herr Schenk, Sie haben die Soko-Lietze mit begründet und intensiv die Ermittlungen geleitet. Was ist das besondere an den Berliner Fällen?

Erstmalig, und das war das Gefährliche, konnte man nachweisen, daß sich im Umfeld der normalen Wirtschaft tätige Kriminelle bewußt Berufskrimineller bedienten, um ihre Geschäfte zu machen. Das ist im Falle Schmidt-Salzmann und bei den Schüssen in der Tiefgarage so gewesen.

Was heißt neue Kriminalpolitik?

Wir müssen unser altes Täterbild ändern, ergänzen. Natürlich gibt es noch den chancenlosen, milieugeschädigten Kleinkriminellen, aber es gibt zunehmend jenen, der sich für den kriminellen Profit entscheidet. Organisierte Kriminalität ist nicht mehr nur die Kriminalität von Berufsverbrechern, sondern die Tatsache, daß zur Realisierung krimineller Profite Politiker und Berufsverbecher instrumentalisiert werden. Dagegen muß die Macht des Staates eingesetzt werden.

Heißt das mehr Polizeistaat?

Nein. Die Gefahr liegt doch woanders. Es geht um die Ziele des polizeilichen Einsatzes. Wo Kritikern bestimmter Mißstände die ganze Gewalt des Staates gegenüber tritt, muß es eine Abstufung der Verhältnismäßigkeit geben. Der Einsatz staatlicher Mittel muß ganz wesentlich gegen den Kreis gerichtet werden, der im besonderen Maße sozialschädlich ist, gegen die Wirtschafts-, die Umwelt- und Korruptionskriminalität.

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