Dialogbereitschaft oder Kleinkrämerei

Der Weg des gesellschaftlichen Gesprächs mit der RAF hat noch viele Hürden/ Exekutive als Zaungast / Weizsäcker will Boock und Speitel begnadigen  ■  Von Max Thomas Mehr

Kaum jemand, weder Politiker noch Öffentlichkeit, hatten etwas von dem Dialog-Projekt mit der RAF erwartet, das die Grüne Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer, der Theologe Ernst Käsemann und der Schriftsteller Martin Walser im letzten Herbst begonnen hatten. Vielleicht war gerade diese Null-Erwartung Voraussetzung für einen ersten Schritt, ein als „positiv“ bewertetes Gespräch über das Projekt zwischen den Initiatoren und dem politisch verantwortlichen Bundesjustizminister Engelhard im Frühjahr und später auch, ohne daß die Öffentlichkeit zunächst davon erfuhr, mit dessen NRW-Kollegen Krumsiek.

Lange Zeit wußte niemand, wie diejenigen, mit denen dieser Dialog ja begonnen werden sollte, darauf reagieren würden und ob überhaupt. In der taz vom 8.August antworteten die RAF-Gefangenen mit drei Stellungnahmen (Adelheid Schulz, Lutz Taufer, Brigitte Mohnhaupt) die von insgesamt 22 inhaftierten RAFlern, mitgetragen wurden und in denen sie eines deutlich machten: Der Versuch sei für sie nur dann akzeptabel, wenn alle Gefangenen der RAF daran teilnehmen könnten.

Das zwischen Antje Vollmer und dem Düsseldorfer Justizminister ausgehandelte „Länderprojekt“, ein erstes Gespräch mit sieben Häftlingen (vier Stunden lang), lehnten sie einhellig ab.

Auch wenn manche Kolumnisten das so sehen wollen, das Ende des Versuchs ist damit nicht eingeläutet. Vielmehr wird in den Antworten deutlich, wie unterschiedlich die politische Logik der Dialog-Initiatoren und der RAF-Gefangenen eben ist. Wenn Antje Vollmer über das in NRW ausgehandelte Gesprächsangebot schreibt, es sei „Realpolitik auf der Nadelspitze“ (taz vom 8.8.), dann verbirgt sich dahinter eben eine Politik der kleinen Schritte. Den RAF-Gefangenen muß es aber um etwas anderes gehen. Wie soll man sich auch ein Gespräch, einen Dialoganfang von sieben RAFlern, ausgewählt durch den Zufall ihres Haftortes, nach zum Teil zehnjähriger Isolation voneinander und dann in nur „vier Stunden“ vorstellen?

Unverständlich und typisch zugleich, wie in den Gesprächen mit Engelhard und Krumsiek, offenbar der ursprüngliche Vorschlag: „einmal im Vierteljahr kommen alle RAF -Gefangenen, die zu einem Gespräch bereit sind, an einem Ort zusammen“, verwässert und 'runterverhandelt worden ist auf einen Länderversuch.

Dieses Feilschen um die Anzahl der am Gespräch Beteiligten entspricht nicht nur einem stereotypen Politik-Konzept, das dem Dialog mit Leuten, die zum Teil seit zehn und mehr Jahren unter Isolationsbedingungen im Gefängnis sitzen, hilflos und völlig unpolitisch gegenübersteht, es nimmt den Dialogvorschlag auch nicht ernst. Ein Dilemma wird da deutlich: Die Exekutive sieht sich bestenfalls als Mittlerin, eher als Zuschauerin, denn als Beteiligte. Sie glaubt, sich nicht eindeutig verhalten zu müssen. So verwundert nicht, daß selbst im dialogbereiten Nordrhein -Westfalen das Oberlandesgericht Düsseldorf, wie eh und je, aus der taz Seiten entfernen läßt, bevor sie an Häftlinge ausgeliefert werden, zum Beispiel auch die Seiten vom 8.August, auf denen die RAF-Gefangenen auf den Dialogvorschlag antworteten.

Ein weiteres Indiz für die Distanz und Unentschlossenheit, mit der die Exekutive dem Versuch gegenüber steht, ist die vom 'Spiegel‘ kolportierte „Uneinigkeit“ zwischen dem zögerlichen Bundesjustizminister Engelhard und dem willigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker über den Zeitpunkt einer Begnadigung von Peter Jürgen Boock und Angelika Speitel. Während Engelhard eine mögliche Begnadigung von der abgesessenen Haftzeit (um die 15Jahre für Lebenslängliche) abhängig machen will, sieht Weizsäcker den Begnadigungsakt unabhängig vom Strafmaß.

NRW-Justizminister Krumsiek befürwortet das Dialogprojekt und signalisiert der taz gegenüber, daß er sich durchaus eine Erweiterung der Gruppe vorstellen kann. Aber: „Jetzt ist erst einmal die Gruppe um Antje Vollmer am Zuge.“ Der Frage, ob auch RAF-Häftlinge aus anderen Bundesländern an einem solchen Treffen in einem NRW-Gefängnis teilnehmen sollten, weicht er zunächst einmal aus: „Da müssen Sie die Justizminister anderer Länder fragen.“

Welche Länderminister könnten sich darauf einlassen? Hartnäckiges Nachfragen bei verschiedenen Justizministerien fördert lediglich „Nachdenklichkeit in Sachen Dialog“ zu Tage. „Überprüfungen“ von Haftverhältnissen gibt es zur Zeit offenbar in mehreren Bundesländern. Etwa in Berlin und Schleswig-Holstein. Bemerkenswert ist dabei vor allem ein Satz aus dem neuen Kieler Justizministerium: In die Überprüfung der Haftbedingungen werde eine Bewertung des Dialogprojekts und damit wohl auch die Frage einer möglichen Beteiligung einfließen.

Der Realismus, mit dem die RAF-Gefangenen selbst die Bedingungen für ein erstes Treffen formulieren, besticht durchaus: ohne öffentlichen Wirbel, ohne Tagesordnung, ohne Konferenzsituation und als zweitägige Begegnung mit mehreren Unterbrechungen.

Fragt man ehemalige RAFler, die selbst lange genug im Knast waren, so sehen sie es ähnlich: „Man sollte nicht sagen die RAF hat recht, aber man sollte ihre Forderung unterstützen, damit es zur größtmöglichen Realitätsüberprüfung kommt“, meint Astrid Proll. Christof Wackernagel kann ihr da nur beipflichten: „Wenn die 22 sagen, wir wollen reden, dann ist der Vorschlag akzeptiert.“ Die eigentlichen Schwierigkeiten des Projekts begännen sowieso erst, wenn man tatsächlich zusammensitzen würde. Christof Wackernagel: „Dialog kann dabei nicht einseitige Abrüstung heißen. Die Initiatoren um Käsemann, Walser und Vollmer müßten auch die Argumente der RAF erstmal hören, sie bedenken.“ Bei der Vorstellung wird ihm ganz anders: „Meine Güte, was wird denn dabei 'rauskommen, wenn die 22 mit noch zehn weiteren reden.“

Die drei Erklärungen aus dem Gefängnis bieten Stoff für jede Menge Diskussion. Zieht man die RAF-übliche Rechthaberei einmal ab, dann könnte die Debatte schon spannend werden, wenn Antje Vollmer und Martin Walser auf die Erklärungen aus dem Knast antworten. Entzünden könnte sich die Debatte etwa an der Frage, ob die Wirklichkeit sich global tatsächlich so veränderte, wie die Dialoginitiatoren in ihrem Brief vom vergangenen Herbst geschrieben hatten. Ob es tatsächlich stimmt, daß die Diktaturen überall auf dem Rückzug, die Friedensbewegungen in der ganzen Welt mit Erfolg gesegnet sind. Für Adelheid Schulz ist dieses Bild „gemalt von merkwürdigen Vorstadtgartenbewohnern“.