Let Alone the Actual Act

■ Prince war im Frankfurter Waldstadion nicht zu sehen

Die Bühne ist als Guckkasten in die Westkurve gestellt, sie nimmt fast die gesamte Breite des Spielfelds ein. Die Lautsprechertürme links und rechts sind wie der ganze Bühnenaufbau mit hellgrauem Tuch verhängt. Daran prangen bunte Symbole: das Friedenszeichen, das kombinierte Männchen - Weibchen - Zeichen, Princes in den Wolken schwebendes Antlitz, das A, allerdings nicht im Kreise. Unter dem Bühnenhimmel hängen dann noch in violettem Neon das Herz und das Kreuz.

Von der Haupttribüne liegt die Bühne sehr weit entfernt. Das dunstige Wetter verstärkt diesen Eindruck. Da man schräg zu ihr sitzt, kann man nur die linke Bühnenhälfte einsehen. Ab und zu bleckt der fahle Vollmond durch die Wolkenwand. Man hat Angst, daß die Bühne sich vollends wegdreht und im Nebel verschwindet, wie eines dieser Schiffe aus Fellini -Filmen. Einen guten Blick hat man eigentlich nur auf die Masse, unten auf den grünen, regennassen Plastikplanen, die den Rasen schützen sollen.

Man sieht, wie die Masse sich staut. Unmittelbar vor der Bühne ist ein Sonderbereich abgesperrt. Zugang dahin hatten nur die allerschnellsten Fans, die gleich nach der Öffnung des Stadions vor die Bühne rannten. Hinter ihnen wurde zugemacht. Alle 20 Minuten kommt ein Ansager von „hr 3“ und fordert die Leute auf, Raum zu lassen. Es gebe schon so und soviele Ohnmachten, man wolle doch schließlich keine Schlagzeilen wie aus Schweinfurt, und er könne versichern, daß man von jedem Platz aus gut sehen werde. An der Barriere zum Bühnenbereich stehen Ordner und schütten Wassereimer über die Köpfe, daß sie abkühlen. Das Wasser steigt als Dampf wieder hoch. Dort wird das Konzerterlebnis am intensivsten sein.

Ein weißes Auto fährt auf die Bühne. Aussteigen Prince und Cat: Housequake. Cat steht in Dominapose vor Prince, breitbeinig, die Arme in den Hüften, Brust gereckt. Prince ist auf allen vieren und kriecht um sie herum und unter ihr durch. Princes Stimme hört man fast gar nicht. Aber man sieht Licht, hundert Scheinwerfer, die sich in alle Richtungen drehen können, die scharfe oder diffuse Kegel in den Bühnennebel schneiden, die die Farben wechseln, die vollkommen synchron die Musik durchs Prisma schicken. Man sieht es auf der Tribüne wie ein Zaungast, aus todsicherer Distanz, losgelöst und ausgeschlossen.

Also geht man dahin, wo das Ereignis wirklich stattfindet. Prince spielt einen langsamen Blues, seine Stimme klingt wie die von Muddy Waters, seine Gitarre zirpt wie die von B. B. King. Man kämpft sich durch die Masse. Hier vorn muß die Bühne sein. Daß man nahe dran ist, merkt man durch den schweren kalten Wasserschwall, der einen plötzlich trifft und die Menge für ein paar Sekunden zurückwallen läßt - von oben hatte das augesehen wie ein hingeworfener Schleier. Keiner weiß hier, von wo das Wasser kommt und daß die Bühnenrampe gar nicht erreichbar ist, weil eine Barriere den Zugang versperrt. Man steht in den Dampfkessel gezwängt, die Brille beschlägt, aber auch ohne sie wäre nichts zu sehen.

Also sieht keiner was. Die oben beneiden die unten, weil sie mitten drin sind, die unten beneiden die oben, weil sie überhaupt was sehen. Wie schemenhaft das ist und daß die Musik da oben klingt wie aus der Mülltonne, können sie nicht wissen. 10.000 Leute können Prince hören, hundert können ihn sehen, hundert von 25.000, die gekommen sind, um einen Blick auf Prince zu erhaschen, oder besser noch - als Beweis dafür, daß „Prince“ tatsächlich ein Wesen aus Fleisch und Blut ist - einen Blick von ihm.

Nichts ist weiter weg, indirekter, abgeschirmter und abstrakter als ein großer Live-Act. Die Kompliziertheit der Maschinerie gestattet den Musikern nicht eine Zehntelsekunde Spontaneität. So war Michael Jackson durch die viel günstiger plazierten Videowände ein Clip, Bruce Springsteen hat in seiner grundehrlichen Art den Abgrund einfach weggelogen, und Prince ist erst Narziß, dann Lichtblick.

Die Indirektheit scheint hier in die Show gleich eingearbeitet. Princes Show ist stückhaft und selbstbezogen, anfangs zumindest. Die meisten Lieder werden nur kurz angespielt und ineinander übergeblendet, wie man es live kaum für möglich hielte. Es sind wirklich nur Anspielungen der Lieder, Mitschunkeln und Feuerzeugschwenken - danach sehnt sich das betrogene Publikum, um sich vergessen zu können - werden systematisch vereitelt. Prince tanzt einen pas de deux mit Cat. Aufs Publikum kann er gut verzichten. Gipfel des Narzißmus ist Who killed Bob George vom Black Album, das es offiziell gar nicht gibt, weil Prince es vor der Veröffentlichung zurückgezogen hat. Prince besingt ein Attentat auf sich, eine Pistole wird ihm an den Kopf gehalten, ein Schuß geht ab.

Gegen Ende aber ändert die Show ihre Richtung. Prince wird zum Auge: IEye. Überall wo Prince auf Lovesexy „I“ singt, ist auf den Plattentexten der Innenhülle ein Auge abgedruckt. Es sieht aus wie das Augenzeichen auf der Dollarnote. „I know“ schreibt sich: Augenzeichen no. Sollte ER sich selbst als...? (Schließlich ist das Auge ein Symbol für Gott.) „I know there is a heaven and a hell.“ Dieses Lied ist eines der ersten ausgespielten, und zum ersten Mal richten sich hier die Scheinwerferbatterien ins Publikum. „I“ guckt uns also doch an. „Germany“, schreit Prince, „do you believe?“. „Yeah“, pfeift der Dampfkessel. „Cross the line“, schreit Prince.

Das kann religiös gemeint sein - Prince ist auf Lovesexy zum Glauben übergegangen -, aber auch bewußt zynisch: nichts ist schließlich unüberwindlicher als die Linie zwischen Publikum und Prince. Minutenlang bleibt es nach dieser Aufforderung auf der jetzt dunklen Bühne still. Das Publikum ist verunsichert. Soll das das Ende sein? Es protestiert, Stadiongesänge werden angestimmt, ein Anflug von Panik.

Dann kommen Kiss, Let's go crazy, When doves cry und als inbrünstige Apotheose Purple Rain. Das Publikum wird in Licht gebadet: blau, violett, orange, rot. Als Zugabe Alphabet St. Die Scheinwerfer sind wieder nach innen gerichtet und projizieren bunte Buchstaben auf die Bühnenwände. Ein herzförmiges „Yes“ aus weißem Neon wird vom Bühnenhimmel herabgelassen. Man hört das Plätschern von Wasser. Prince ist verschwunden, ohne daß man ihn je sah. Das ist alles. 125 Minuten Musik zum Preis von 40 Pfennig pro Minute. Das Publikum trollt sich.

Thierry Chervel