Ausforschung ganz konkret

Justizministerium veröffentlicht Strafverfahrensstatistik / Der Paragraph 129a dient nicht der Strafverfolgung, sondern vor allem der Sanktionierung politisch mißliebiger Meinungen / Kaum Anwendung auf Rechtsextreme / Nur in seltenen Fällen wird Anklage erhoben  ■  Aus Bonn Oliver Tolmein

Das zeitliche Zusammentreffen war rein zufällig, der politische Zusammenhang ist jedoch evident. Kurz bevor Ulla Penselin, angeklagt der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“, aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, traf bei den Grünen die Antwort des Justizministeriums auf eine kleine Anfrage ein: „Strafverfahrensstatistik wegen 'terroristischer‘ Taten.“ Auf 34 Seiten wird dort, Tabelle um Tabelle, bestätigt, daß der berüchtigte Paragraph 129a allem möglichen dient, nur nicht der Strafverfolgung.

In gerade einmal fünf Prozent der vom Generalbundesanwalt geführten Verfahren und gegen acht Prozent der Beschuldigten kommt es nach monatelangen Ermittlungen zu einer Anklageerhebung. Das hängt auch damit zusammen, daß ein erheblicher Prozentsatz der 129a-Ermittlungsverfahren nur „gegen Unbekannt“ geführt wird: Hier ist der Aspekt der Erforschung einer bestimmten Szene besonders deutlich.

Das Jahr, in dem die Bundesanwaltschaft am aktivsten war, ist 1981: 405 Verfahren werden gegen Unbekannt geführt, weitere 149 Verfahren gegen insgesamt 432 namentlich bekannte Beschuldigte kamen hinzu. 1984 waren es „nur“ 182 Verfahren, 1987 293 Verfahren. Dafür wanderten im vergangenen Jahr 18 Personen in Untersuchungshaft; nur 1981 waren es mit 29 Personen mehr. 1981 wurde in fünf Fällen die Anklage zugelassen, 1987 in sechs.

Bemerkenswert ist, daß die Statistik, die erstmals die Zahlen für derartige politische Verfahren bis 1987 nennt (bisher waren nur die Zahlen bis 1980 bekannt), auch ergibt, daß 80 Prozent der eingeleiteten 129a-Verfahren sich auf „Werbung“ bzw. „Unterstützung“ einer „terroristischen Vereinigung“ beziehen. Beides sind, die Rechtssprechung hat es zuletzt bei den Verfahren gegen Buchhändler, die die Zeitschrift 'radikal‘ verkauft haben sollen, bewiesen, sogenannte „Kommunikationsdelikte“.

Der Verkauf von Zeitungen kann darunter fallen, das Tragen von Stickern, Parolensprühen, Flugblätterverteilen, die auf Versammlungen aufgestellte Forderung nach „Zusammenlegung der politischen Gefangenen“. Der 129a ist also vor allem zu einem Paragraphen geworden, der die freie Äußerung politisch mißliebiger Meinungen sanktioniert.

Mißliebige Meinungen - auch das stellen die Tabellen aus dem Bundesjustizministerium klar - sind linke Meinungen: rechtsterroristische Straftaten werden mit dem 129a nämlich so gut wie nicht verfolgt. Gegen Rechtsradikale hat der Generalbundesanwalt 1987 kein einziges Verfahren wegen „Werbung“ für eine oder „Unterstützung“ einer „terroristischen Vereinigung“ eingeleitet; 1981 waren es immerhin 14Verfahren wegen „Unterstützung“. Anklage wegen Bildung, Unterstützung oder Werbens für eine „terroristische Vereinigung“ wurde gegen Rechtsradikale nur in einem einzigen, mittlerweile acht Jahre zurückliegenden Fall erhoben.

Die Antwort auf die kleine Anfrage liefert auch Zahlenmaterial über Strafverfolgungsmaßnahmen seit Inkrafttreten des verschärften 129a und des neuen 130a am 1.Januar 1987. Seitdem wurden fünf Ermittlungsverfahren wegen 129a gegen zwölf Beschuldigte und acht Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet worden. Wegen angeblicher Verstöße gegen den 130a (Anleitung zu Straftaten) sind seit dem 1.Januar 1987 sechs Verfahren eingeleitet worden, drei dieser Verfahren wurden bisher eingestellt. Auch über die Einrichtung von Kontrollstellen gemäß Paragraph 111 Strafprozeßordnung haben die Grünen Auskunft bekommen. Fünf Anordnungen dieser Art hat es 1987 gegeben, drei davon waren auf drei Monate, eine auf 57 Tage befristet und eine auf zwölf Stunden.

Die Grünen fordern nun, daß der 129a „dringend überarbeitet oder abgeschafft werden muß“, da „dieses ineffektive Sonderrechtssystem“ rechtswidrig sei.