„Kantonisierung“ oder: Wie teilt man den libanesischen Kuchen?

Von libanesischen Nationalisten als Untergang beschworen, gilt die „Kantonisierung“ oder Teilung Libanons in christlich-maronitischen Kreisen als ein mögliches Projekt, das ihnen die Erhaltung einer christlichen Enklave im arabisch-moslemischen (feindlichen) Umland ermöglicht. Die Christen-Enklave könnte im Kräftespiel der Region freilich nur in engster Verbindung zu Israel politisch und ökonomisch überleben.

Eine halbe Million palästinensischer Flüchtlinge, die über das ganze Land verteilt in Lagern leben und in keine der traditionellen libanesischen „Communities“ integriert werden wollen oder können, müßten im Szenario der Kantonisierung einen eigenen Platz finden. Der „Lagerkrieg“ und seine Folgen gelten Befürwortern dieses Projekts als Etappe auf dem Weg und wird so in die jüngste libanesische Geschichte eingeordnet:

1976: Die Palästinenserlager Dbaiyeh, Jisr el Bacha, Quarantina und Tell el Zaatar im Gebiet des heutigen Ost -Beirut werden von christlichen Milizen (mit syrischer Unterstützung) entvölkert und restlos zerstört. Die Überlebenden finden Unterschlupf in den bestehenden Camps in West-Beirut, Sabra, Chatila, Bourj-el-Brajneh und Mar Elias.

1982: Der von US-Sonderbotschafter Habib ausgehandelte Waffenstillstand zwischen Israel und der PLO beinhaltet die Evakuierung von mehr als 10.000 Fedajin aus West-Beirut. Die Infrastruktur militärischer, politischer, sozialer und kultureller palästinensischer Institutionen im Libanon ist zerschlagen.

1983/1984: Die von Syrien unterstützten „Dissidenten“ des Abu Moussa vertreiben Arafat und seine Anhänger aus dem Bekaa-Tal, danach aus den nordlibanesischen Camps von Baddawi und Nahr el Bared.

1985/1987: Die von Syrien unterstützte Schiitenbewegung Amal führt den „Lagerkrieg“ gegen die PLO. Das Camp von Sabra in West-Beirut wird vernichtet.

1988: Was Amal nicht geschafft hat, gelingt den Fateh -Dissidenten: Arafats Leute müssen Chatila und Bourj-el -Brajneh verlassen, ein Großteil der Bevölkerung setzt sich Richtung Saida ab.

In diesem Szenario steht dem im äußersten Süden des Libanon gelegenen Camp von Rashediyeh eine weitere Runde „Lagerkrieg“ bevor: Die Schiitenbewegung Amal nimmt das Camp ein, was die Arafat-Truppen in Saida veranlaßt, die letzten drei von Schiiten bewohnten Dörfer in der nahen Umgebung zu erobern. Saida und das Bergland Iqlim Touffeh, fast ausschließlich von libanesischen und palästinensischen Sunniten bewohnt, wird im Süden von einem feindlichen Schiiten-Kanton unter der Herrschaft der Amal begrenzt, der gleichzeitig eine Pufferzone zwischen der israelischen Nordgrenze und den Palästinensern darstellt.

Im Nordosten grenzt ebenfalls „feindliches“ Christenland an den neuen Kanton. Der Rest Libanons - zumindest der, in dem sich weiterhin palästinensische Camps befinden - wird von der syrischen Armee kontrolliert, die bekanntermaßen für Friedhofsruhe in den Camps sorgt und die militärische und politische Entscheidungsfreiheit keinesfalls der PLO überläßt.

Petra Groll