: Bürger beobachten das Fernsehen e.V.
■ „Früher standen sich die Menschen näher, die Schußwaffen trugen nicht weit“ (A.Kluge)
Innenminister Schnoor meinte noch einmal daran erinnern zu müssen: „Das Wort ist die stärkste Waffe der Polizei!“ Tatsächlich haben einst mönchisch-disziplinierte Prediger, von Savanarola bis Luther, die ersten Polizey-Battaillone aufgestellt. Mit Beginn der Neuzeit treten „Politik“ und Innenpolitik des Staates, „Polizey“, auseinander. Letzteren geht es im Kern um die „Bildung des Menschen“, weswegen man anfänglich auch noch von einer „Polizei des Herzens“ spricht (vgl. dazu die Doktorarbeit des bayrischen Kultusministers Maier über die „Polizeiwissenschaft“ sowie Walter Seitters „Studien zur Erkenntnispolitikwissenschaft: Menschenfassungen“).
Mittlerweile betreiben aber unstreitig die in der IG Wort Organisierten - Publizisten und Journalisten - den besseren „Informantenschutz“, „Autorenpflege“ gar, als die Bullen.
Die vom Staat rekrutierte und nicht wie in Amerika in ihrem Einsatz-Ort gewählte deutsche Polizei, vormals preußische, hat für Ruhe und Ordnung der „öffentlichen Sicherheit“ zu sorgen, während es in den Medien vor allem um „Veröffentlichung“, „Öffentlichkeit“, „Gegenöffentlichkeit“ bisweilen sogar, geht. Daraus ergibt sich ein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden und von Anfang an eine polizeyliche Behinderung des sog. Meinungs- und Nachrichtenaustauschs.
„Im Polizeibeamten tritt der Staat dem Bürger gegenüber.“ So sieht es H.D. Genscher, der dabei an das Beispielhafte jeder Polizei-Intervention denkt - ihren „generalpräventiven Effekt“: das Menschenbildnerische in der Strafverfolgung, das auch in der Aufklärung, von Brecht bis Boehnisch noch, waltet.
Während die Polizeyen im Rahmen des „öffentlichen Rechts“ vorgehen und dann aufgrund eigenen „pflichtgemäßen Ermessens“ handeln („als Rechtssicherungsinstitution ist die Polizei allzuständig und präsent, interveniert prohibitiv und regulativ in das Leben des Einzelnen“ - G. Haupt, W.D. Narr), wird die Öffentlichkeitsarbeit heute vom „Persönlichkeitsrecht“ und den „guten Sitten“ beschränkt. Auch sie interveniert mittlerweile permanent in das Leben des Einzelnen. Was merkwürdige Wirkungsverschiebungen hervorgebracht hat: Polizeidirektor Antwerpes spricht (im ZDF) davon, „daß allgemein der Befolgungsgrad gesunken ist„; andersherum berichtet ein Polizist (in der BZ), daß nach der Ausstrahlung eines feministisch-aufklärerischen ARD-Films über die Kinderprostitution am Kölner Hauptbahnhof der „Babystrich dort erst richtig boomte“. 1,2 Millionen Mark kostete die Belagerung, Begasung und schließliche Räumung des besetzten „Kubat-Dreiecks“ in Berlin; mit Artikeln, Photos und Filmberichten darüber setzten die Medien weltweit über 1,8 Millionen Mark um.
Um des „generalpräventiven Effekts“ willen sind Medien und Polizei aufeinander angewiesen, mit dem Nachteil mittlerweile, daß - so Innenminister Schnorr - „unsere polizeilichen Einsatzmaßnahmen anschließend öffentlich hinterfragt werden und die Täter daraus lernen. Wir müssen uns jedesmal was Neues einfallen lassen. Es wird von Mal zu Mal schwerer. Das ist ein großes Problem.“
Zumal Ermessens- und Entscheidungs-Spielräume sowie Ausbildung und Lebensplan der „Beamten in Uniform“ immer enger werden, während in den zunehmend differenzierter und segmentierter operierenden Medien eher das Gegenteil geschieht. Selbst die von Richard Sennett (in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens - die Tyrannei der Intimität“) kritisierte „diadische Struktur“ weicht in den Massenmedien langsam auf: durch „offene Kanäle“, „Mitmachsendungen“, „Zuschauerbeteiligungen“, BTX, Anrufaktionen, „Leserbrief -Seiten“ etc.
Zwar möchte man Baudrillard darin zustimmen, „daß der Druck auf den Meinungsknopf die politische Willensbildung ersetzt“, aber dies nicht wegen der „Omnipräsenz der Medien“, sondern weil - schon seit langem - „die politischen Diskurse zusammenschrumpfen“ (Sennett). In den Medien kommt dazu ein Hang zur Personifizierung von Politik („Das elektronisch befestigte Schweigen“). Kulturpessimisten beklagen all dies, junge Optimisten, wie taz-Journalistin Fehrle z.B. (in einer TV-Diskussion mit Polizisten unlängst), klagen dagegen die endliche Anerkennung und Respektierung der Presse als „Vierte Gewalt“ ein - gegenüber den anwesenden Vertretern der „Dritten staatlichen Gewalt“.
Jetzt, in Gladbeck, haben anscheinend auch die ersten „Knackis“ (taz) die neuen Zeichensysteme der Zeit erkannt: „Die Polizei hatte außerordentliche Schwierigkeiten überhaupt, mit den Tätern zu sprechen. Die Täter suchten von vornherein, von der Bank aus, die Medien. Die notwendige Verhandlungspartnerschaft ging also von der Polizei zunehmend auf nicht mehr kompetente Journalisten über“ (Schnoor).
Der „taz-Abonnent“ (Stern) und Geiselnehmer Rösner hatte kategorisch erklärt: „Ich will jetzt nur noch über die Medien sprechen“ (und dann mit den Journalisten locker „small-talk“ betrieben, wie taz-Komentator M.T. Mehr kritisierte).
Anschließend fragte sich und uns Zeit-Journalist Bieber allerdings: „Ihr ganzes Verhalten wirft im Rückblick die Frage auf, ob sie überhaupt normale Bankräuber waren, die der Zufall zur Geiselnahme zwang. Von Stunde zu Stunde entfernte sich Rösner mehr von der Logik eines Verbrechers, der nur Geld und Haut retten will. Wollte er gar nicht in erster Linie Geld, sondern in erster Linie bloß makabre Publizität?“
Stern-Redakteur Kesting beklagte die „Herrschaftsfreiheit“ (Habermas) und die mangelnde Qualität des neuen Dialogs: „Was wir gehört haben, waren eklige Beschimpfungen und abgegriffene Sprüche aus den Standard-Krimis des Fernsehens.“ (Zwei Monate vorher hatte in Gladbeck die „Vereinigung deutscher Krimi-Autoren“, das „Syndikat“, getagt; in einer Rede sagte dort Peter Glotz, wahrscheinlich werde es bald so sein, „daß nur noch der Kriminalroman die Wirklichkeit realistisch abbildet“. Der reale Ablauf des Geiseldramas war dann allerdings so, „daß man die Handlung keinem Krimi-Autoren abgenommen hätte“ (Spiegel).
Nach der „Geiselaffäre“ (Bild) und den „Killern im Medienrausch“ (ARD) setzte deswegen - zumindestens bis zur „Katastrophe in Ramstein“ (Husumer Nachrichten) - eine breit geführte Manöverkritik und politische Debatte ein, natürlich in den Medien („Wer dauernd von einem schlappen Staat spricht, redet ihn nur herbei!“ - so Zeit-Leitartikler Leicht). Taz-Journalisten vermerkten übel, daß sogar an den „Stammtischen der Republik“ darüber diskutiert wurde - also quasi halböffentlich (halblegal?).
Mehrmals hatten während der Entführung SEK-Trupps versucht, sich den Geiselnehmern als „TV-Team“ verkleidet zu nähern. Nach der „Tragödie“ (BamS) wurde in einem quicken bayerischen Remake der „finale Rettungsschuß“ und der Einsatz von „als Journalisten getarnten Polizisten“ vorgeschlagen. „Zwei Schönheitsfehler der Demonstration“ bemängelte anderntags die BZ: „Dem einen verkleideten Journalistenkollegen hingen die Handschellen sichtbar aus der Jeanstasche, der andere bekam die klemmende Autotür nicht auf.“ Peinlich!
Die Polizei im Kampf gegen die wachsende Attraktivität und Allpräsenz der Medien kommt zuletzt auf die Idee der Mimikry. Aber auch die andere Seite schläft nicht. Ein Fernsehteam denunzierte den als Journalisten getarnten Pressesprecher der Kölner Polizei bei Rösner und im Spiegel -Interview (das der Stern witzigerweise als „Scheckbuchjournalismus“ anprangerte) sagte die gerettete Geisel Ines Voitle: „Also, wir fuhren weiter, und dann sind uns die Journalisten hinterhergefahren. Wir haben einmal angehalten, um sie vorbeifahren zu lassen und um zu gucken, ob das auch wirklich Journalisten sind.“
Innenminister Schnoor geht mittlerweile so weit, künftig „Medienvertretern“ die Verhandlung übernehmen zu lassen, „wenn so etwas in Absprache mit der Polizei geschieht“. Denn, so ein Bremer Journalist, „es gab nie einen kompetenten Ansprechpartner vor Ort“. Bei einigermaßen intelligenten Gesetzesbrechern dürfte sich dieses Problem zukünftig verschärft stellen.
Ja, ohne Medien-Anwesenheit haben „Polizei-Einsätze“ und „Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizisten“ nur noch den Charakter mittelalterlicher Belagerungen bzw. Turniere (wobei Vermummungen vor allem Reaktion der „randalesüchtigen Wanderchaoten“, so das ZDF, auf die polizeieigenen Medien-Trupps sind).
Das „Gladbecker Geiseldrama“, das kurz vor der Grenze zu einem CDU-Bundesland überstürzt beendet wurde, hat eine neue Art von „Konfliktlösung“ (Innensenator Meyer) sichtbar gemacht: einen weiteren Durchbruch der elektronischen Waffe, ihre Überlegenheit gegenüber Mordwerkzeugen. Die Journalisten, allen voran die der „Schmierenpresse“, haben sich als die besseren Menschen erwiesen. Es kommt der Tag, da sie jeden Polizisten als den schlimmsten Verbrecher ebenso - behandeln werden müssen.
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