Dukakis und Jackson: Keine Hoffnungsträger der Linken

Trotz aller Wahlkampfeuphorie über die Demokraten - am amerikanischen Machtanspruch wird sich nichts ändern / Auch für Dukakis und Jackson sind die USA die Weltmacht Nummer Eins / Jackson kann mit der Unterstützung der Minderheiten rechnen, aber er bietet keine Lösung des Rassenproblems  ■  Von Udo Knapp

So muß es im alten Rom gewesen sein: Nach einer beschwerlichen Fahrt aus irgendeiner besetzten Provinz findet sich der erwartungsvoll Reisende auf dem allerletzten Ring des circus maximus bei den Spielen der Gladiatoren wieder. Unbeachtet, unerhört und verwirrt von dem Vergnügen und dem Leben auf den Rängen und in der Arena. 4.000 Delegierte, 14.000 Journalisten, die Hauptauftritte der Helden an der tv-prime-time von 21 Uhr bis 23 Uhr orientiert; Lichtspiele hell - wenn die Massen toben, dunkel mit Lichtdom, wenn der Redner auf dem Podium erscheint. Im richtigen Augenblick die roten Plakate für Jackson, eine Stunde später die blauen für Dukakis. Die Kinder, die Mütter und die Ehefrauen der Kandidaten auf der Bühne, Kennedys Sohn - umjubelt, stundenlange Marschmusik, Gebete, weinende Frauen, das Ritual des sich gegenseitigen Ankündigens der Redner. Jeder preist den Nächsten als den Besten, unvorstellbar erfolgreichen und gebenedeiten „leader“ für das amerikanische Volk. Dazu gehören Rummel, Empfänge, Fernsehauftritte und riesen Fressereien...

Hollywood und amerikanische Politik ist keine Show, weder für die Delegierten noch für den Redner. Sie ist ernsthaftes Streiten um die Zukunft Amerikas und die wird als identisch mit der Zukunft ihre Chefs begriffen - die Show ist ihr zentrales Medium. Die Show ersetzt den Diskurs nicht, er findet trotzdem oder gerade deswegen statt - nicht unter den Delegierten in der Convention, wohl aber in den das Spektakel steuernden, kritisierenden, begleitenden Medien dort aber radikaler, kontroverser und intensiver als europäische, speziell bundesrepublikanische Journalisten erlauben wollen und dürfen. Mein Unbehagen über die mangelnde Debatte auf diesem Parteitag bleibt.

Aber ist dieses Unbehagen vielleicht nichts anderes als meine berechtigte deutsche Angst vor der Manipulierbarkeit der Massen? Oder wird nicht umgekehrt gerade in der Show, dieser genußvoll geliebten Show, dieser schamlosen Inszenierung, Vergnügen und Distanz, Identifizierung und Selbstkritik, Relativismus und Fähigkeit zur Entscheidung geweckt.

Wer sich selbst feiern kann, wer Show und bittere Realität nicht trennt, damit er weder der Versuchung noch der Gefahr erliegt, hat auch eine Chance, politische Entscheidungen treffen zu können. Dagegen erscheint mir unser ewig nur ernster moralisierender Dauerstreß, des „Jetzt oder Nie“ als schlicht demokratieunfähig. Jedenfalls war dieses unverschämte Zurschaustellen individuellen Selbstbewußtseins, religiöser Identifizierung mit Amerika und universellem Führungsanspruch im Namen von Demokratie und Freiheit für mich die sinnliche Erläuterung von Thomas Manns Einschätzung von Amerika: „Das ist der Imperialismus der Zivilisation.“ An dieser Verbindung von universeller Zivilisationsidee und imperialem Machtanspruch werden auch die nächsten Präsidentschaftswahlen nichts ändern. Es geht vielmehr darum, die politische Situation Amerikas nach acht Jahren Reagan zu verstehen und zu fragen, ob die Wende nach links in Amerika tatsächlich zu erwarten ist und welche Auswirkung sie auf unsere Politik in Europa haben kann.

Ende der amerikanischen

Hegemonie?

„Wir glauben an ein stärkeres Amerika, das bereit ist, in der ewig gefährlichen Welt mit harten Entscheidungen zu führen: militärisch stärker in unserer gesamten Verteidigung und unseren antiterroristischen Kampfmöglichkeiten, sowie der engeren Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten... Wir werden von unseren Alliierten einen höheren Anteil an den Kosten und Verpflichtungen verlangen, die erforerlich sind um Frieden und Freiheit zu sichern.“

Kern dieser außenpolitischen Aussage, aus dem Wahlprogramm der Demokraten ist: die Möglichkeit einer Rückkehr zu einer Politik des Isolationismus ist vorbei. Die Vereinigten Staaten sind militärisch und auch vom eigenen Selbstverständnis her die Weltmacht Nummer Eins, sie wollen und werden diese Rolle ohne Einschränkungen weiterspielen. Alle Spekulationen über eine Veränderung der amerikanischen Außenpolitik zu einer mehr kooperativen Haltung gegenüber ihren Verbündeten scheinen mir unbegründet. Das Reden über das sogenannte „burden-sharing“, die Drohung mit einem möglichen Abzug amerikanischer Truppen aus Europa als Antwort auf die in Europa verweigerten verstärkten eigenen Rüstungsausgaben sind, genau betrachtet, chauvinistsiche, innenpolitisch gewendete Argumente. Sie kommen besonders im Wahlkampf gut an und verdecken die tatsächlichen strategischen Konfliktlinien und Veränderungen vor der amerikanischen Bevölkerung. Die innenpolitischen Schwierigkeiten der USA sind so groß, daß es ein Eintreten der USA für jedes europäische Interesse nicht mehr automatisch geben wird - auch wenn es keine Rückkehr zum Isolationismus gibt. Die direkte amerikanische Hegemonie gegenüber Europa lockert sich.

Die Betonung der Führungsrolle Amerikas in fast identischer Weise zu Reagan, bedeutet nichts anderes, als die Fortsetzung der alten Politik. Daran ändert sicher auch eine in wichtigen Bereichen liberalisierte Politik, z.B. gegenüber Nicaragua und ein verschärfter Druck auf Südafrika, wenig. Über eine neue Rolle Amerikas als Welt und Friedensmacht, einer Pax Americana, die auf Ausdehnung ihres Herrschaftsbereichs zugunsten weltweiter friedlicher Kooperation verzichten würde, gibt es keine Vorstellungen und auch keine Diskussionen in den USA. Für Europa, besonders die Bundesrepublik, gilt es daher ein Konzept zu entwickeln, das realisiert, daß die direkte amerikanische Hegemonie in Europa zu Ende geht, zugleich die Bindung Europas an die USA unaufhebbar geworden ist. Es muß eine Politik entwickelt werden, die strategisch selbstbewußt europäische Interessen formuliert. Eine Politik , die gerade keine Neuauflage nationalistischer und chauvinistischer oder auch euro-militaristischer Positionen zum Inhalt hat...

Aus Amerika, ganz gleich, wer der nächste Präsident sein wird, ist zu dieser geo-strategischen Neuorientierung kein Anstoß zu erwarten - er muß aus Europa kommen.

Jackson, feuriger Prediger

„Wir stehen am Ende einer langen, dunklen Nacht der Reaktion. Wir sind vereint in der Entschlossenheit eine neue Richtung einzuschlagen. Wir glauben an eine Regierung von, aus und für das Volk... Deutschland und Japan sollen einen größeren Teil der Last ihrer eigenen Verteidigung tragen. Wir können das Geld gebrauchen, um es in unsere Kinder zu investieren, so daß sie dieses Land von innen etwas stärken können. Friede auf Erden!“

Tränen, nichtendenwollender Tumult in der Convention Hall. Jacksons Rede, das ist die amerikanische Substanz, die Weltgeschichte gemacht hat: religiöser Glaube an Gerechtigkeit und eigene Sendung. Aufbruch, Herausforderung, universalistischer Anspruch und individuelle Verantwortung und Leadership. Diese Position begeistert, reißt die Leute von den Sitzen, setzt Hoffnungen und Visionen frei, aber sie ist mit Jackson anfällig für den beunruhigenden Egotrip und für Mißbrauch. Im Augenblick gibt es in den USA keine schwarze Bürgerrechtsbewegung, sondern lediglich die auf Jackson charismatisch zugeschnittene Kampagne. Diese Tendenz im Lager Jacksons hat Coretta King, die Witwe von Martin Luther King, Andrew Young, den schwarzen Bürgermeister von Atlanta, und andere Führer der Schwarzen lange davon abgehalten, Jackson offen zu unterstützen.

Jacksons Erfolg kommt nicht aus der Unterstützung, die er aus der Regenbogen-Fraktion Amerikas gewonnen hat - den Schwulen, den Indianern, den Frauen und anderen; in den USA gibt es im Augenblick außer der riesigen Selbstorganisationsbewegung zur Unterstützung der Aids -Kranken und der Anti-Apartheid-Bewegung keine politischen, außerparlamentarischen Kräfte, die für die amerikanische Gesellschaft eine Herausforderung darstellen würden.

Rassenfrage bleibt ungelöst

Jackson zieht und gewinnt seine Kraft allein aus der ungelösten Rassenfrage: „Amerika geht rückwärts, nicht vorwärts, in seinen Bemühungen, die volle Beteiligung der Bürger der Minderheiten am Leben und am Fortschritt der Nation zu erreichen. In der Erziehung, der Verteilung der Arbeitsplätze, im Einkommen, der Gesundheit, der Lebenserwartung und anderen Basisbedingungen des individuellen und sozialen Wohlbefindens bestehen die krassen Unterschiede zwischen den Mitgliedern der Minderheitengruppen und der Mehrheit der Bevölkerung nicht nur fort, sondern in manchen Fällen werden diese Unterschiede sogar größer.“

So beschreibt der „American Council on Education“, der Zusammenschluß der Colleges und Universitäten und der Erziehungskommission der Vereinigten Staaten, die Situation. Der Bericht heißt „One Third of a Nation“. Er befürchtet, daß neue schwere Rassenauseinandersetzungen zu erwarten sind, weil die Minoritäten mittlerweile ein Drittel der gesamten Bevölkerung ausmachen und zugleich in den Integrationsbemühungen kein Fortschritt erreicht worden ist. Der Bericht erfordert eine eindeutige politische Stellungnahme gerade von den Demokraten. Wohlwissend aber, daß mit diesem Thema in Amerika auch 1988 keine Wahlen zu gewinnen sind, stellt sich Dukakis lieber als jemand dar, der in der Lage ist, wirtschaftliches Wachstum zustande zu bringen und der amerikanischen Nation zu einem neuen Höhenflug zu verhelfen. Mit der Entscheidung für diesen Mann haben sich die Demokraten zwar nicht dagegen ausgesprochen, das Rassenproblem zu dem ihren zu machen, aber sie haben es auch nicht auf den Platz gestellt, der ihm gebührt. Im Gegenteil, mit der Wahl Bentsens zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, einem konservativen Demokraten aus Texas, zeigt sich, daß die Demokraten in ihrem verzweifelten Bemühen, wieder an die Macht zu gelangen, Opportunismus zur Tugend erklären (Wohl bei der Kraut-SPD gespickt? d.S.). Bentsen hat sich wiederholt für die Todesstrafe, für SDI, für den Bau der MX-Missiles, für Hilfe für die Contras in Nicaragua und eine protektionistische Handelspolitik ausgesprochen. Die Demokraten trauen sich, und das bewegt die Bentsens entweder nicht dazu, die Wahrheit zu sagen oder sie glauben, den Wählern weismachen zu können, sie seien eigentlich „Reaganistas“, bloß eben die besseren Kerle. Dukakis: „Diese Wahl dreht sich nicht um Ideologie, sondern um Kompetenz.“

Konkrete Programme fehlen

Keine Rede also davon, wie Dukakis seine sozialpolitischen und ökologischen Programme finanzieren will. Keine Rede davon, wie das Defizit in der Handelsbilanz als Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum in Amerika wegzubekommen sein soll. Keine Rede davon, wie auf Gorbatschows Herausforderung nach einer universellen Abrüstungsstrategie reagiert werden soll. Von einer Wende nach links unter Dukakis‘ Führung kann also keine Rede sein. Viel richtiger scheint mir - sollte Dukakis gewählt werden, weil Bush so „unerotisch auf die Frauen wirkt“ (???????) die Einschätzung David S.Broders in der 'New York Times‘ zu sein: „Es ist zu befürchten, daß ein reformistischer, technokratischer, haushaltsfixierter demokratischer Präsident aus der Mittelklasse neue Gründe dafür finden wird, gerade nicht mit ganzer Kraft sich der Aufgabe zu widmen, die in der 'Ein-Drittel-der-Nation-Gesellschaft‘ beschlossen liegt, um so die Ungleichheit zwischen den Rassen innerhalb einer Generation zu beseitigen.“ Dukakis wird mit einigen sozialen Schattierungen Reagans Politik fortsetzen. Das erscheint auch deshalb nicht unwahrscheinlich, weil die Demokraten als die Partei mit dem sozialen Touch, wie weiland unsere Sozialdemokraten mit ihrer Faszination für prinzipienloses Regieren, sich für die Zeiten der nationalen Krisenverwaltung besser eignen als die auf ihre eigenen Interessen fixierten Konservativen...

In Amerika werden sich bei einem solchen Wahlausgang ebenso wie bei einer Wahl Bushs zuspitzende soziale Probleme in der Innenpolitik und außenpolitisch für alle Verbündeten härtere Zeiten ergeben. Das eben mit großer Mehrheit verabschiedete neue Handelsgesetz zeigt, daß alle Parteien bereit sind, jeden Präsidenten Amerikas dabei zu unterstützen, für die eigenen Interessen notfalls auch die Freunde im westlichen Ausland bezahlen zu lassen.

Nichtsdestotrotz, blanker Anti-Amerikanismus oder hündisches Sichanpassen an die Interessen der USA sind die links und rechts gleich hilflosen Konzepte, die nur verdrängen oder nur schwer ertragen können, daß diese „Amis“ so gut, so demokratisch, so gefährlich, so rassistisch, so optimistisch, idealistisch und verrückt ohne Wenn und Aber die Weltmacht Nummer eins sind, die unsere politischen Optionen bestimmt, ob wir das nun wollen oder nicht. Immerhin haben unsere deutschen und europäischen Vorväter und -mütter ihre weltpolitische Rolle selbst verspielt...