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MIT GOTT FÜR DIE OBRIGKEIT

■ 100 Jahre Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes im Heimatmuseum Neukölln

Fotos von strammstehenden Männern in Uniform. Ernst und wichtig blicken sie aus dem Bild. Daneben Aufnahmen von Frauen mit weißem Häubchen und verzückt entsagungsvollem Ideallächeln bei der Essensausgabe an Kinder. Männer im Lazarett zeigen stolz ihre Wunden. Die Männer blicken aus dem Bild, die Krankenschwestern blicken die Verwundeten hingebungsvoll an. Weiße Frauen und soldatische Männer, wie sie sich Theweleit nicht besser hätte wünschen können.

Im Mittelpunkt steht also der Krieg? Denkste: „Im Mittelpunkt steht der Mensch“ bei einer Ausstellung über „100 Jahre Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes in Neukölln im dortigen Heimatmuseum! Dies ist eine Ausstellung des DRK und nicht über das DRK. Das heißt, der Blick durch die verbandseigene optimistisch-humanitäre Brille läßt manchmal ein klares Wort vermissen, aber die Bilder erzählen auch ihre eigene Geschichte. Dafür kann man im 70-Seiten -Katalog manches nachlesen.

Dabei ist diese Ausstellung des Deutschen Roten Kreuzes die erste, die sich kritisch mit der eigenen Geschichte beschäftigt. Der Historiker Henrik Stahr hat einen Rundgang mit vielen Fotos und Schautafeln in die verschiedenen Entwicklungsphasen des DRK eingeteilt: vom „Zentralkomitee des Preußischen Vereins zur Hilfe für die im Felde verwundeten und erkrankten Krieger“ über die ersten Sanitätskolonnen, die Unfallrettung mit Pferdewagen, die Vaterländischen Frauenvereine mit ihrer bürgerlichen Wohltätigkeit und Bekämpfung der Tuberkulose im Kaiserreich bis zur Weiterentwicklung des DRK zum Wohlfahrtsverband in der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit.

Heil der Bündnistreue

Nicht nur die Lazarett- oder Luftschutzkellerfotos, sondern auch Buchtitel wie „Die planmäßige Kriegsvorbereitung der Vereine vom Roten Kreuz“ oder „Mutter Simon, die Helferin auf dem Schlachtfelde“ dokumentieren im Heimatmuseum Neukölln die enge Verbindung des DRK zum Krieg. Patriotische Vivatbänder aus dem 1. Weltkrieg mit Ziersprüchen wie „Heil der Bündnistreue zwischen Deutschland, Österreich, Ungarn und Türkei“ entlarven den Mythos der Neutralität des Roten Kreuzes. Ein Bild eines SA-Mannes mit Rotkreuz-Binde belegt, daß das Rote Kreuz entgegen diesem Neutralitätsanspruch SA und SS nicht daran hinderte, sein Zeichen zu benutzen. Hier in der Ausstellung erfährt man zum ersten Mal, wie die Führung des DRK sukzessive mit nazitreuen Anhängern besetzt wurde, wie die Rassehygienelehre auch in die Schwestern- und Oberinnenausbildung Einzug hielt und auch, wie die Juden im Nationalsozialismus aus der Organisation ausgeschaltet wurden. Nur der Name eines jüdischen Mitglieds in einem Rot -Kreuz-Handbuch belegt heute noch die Existenz auch jüdischer Mitglieder im DRK-Neukölln.

Zusammenarbeit

mit den Streitkräften

Wie kritisch diese Ausstellung für DRK-Verhältnisse ist, zeigt ein Vergleich mit der DRK-Mitgliederzeitschrift 'die gute tat‘. Da heißt es im Artikel zum diesjährigen 125jährigen Jubiläum über die Zeit des Nationalsozialismus: „Es (das DRK) verlor alle Wohlfahrtseinrichtungen und das Jugendrotkreuz. Andererseits konnte es sein Aufgabenfeld im Katastrophenschutz und Rettungsdienst ausbauen und seine ureigenen Genfer-Konventionsaufgaben in der Zusammenarbeit (!) mit den Streitkräften (!) zurückgewinnen.“ In der Weimarer Republik war dem DRK nämlich durch den Versailler Vertrag verboten worden, mit militärischen Behörden zusammenzuarbeiten. Einige Leute können offensichtlich auch heute noch übersehen, daß es Teil der NS -Kriegsvorbereitungen war, das DRK, nach Zerschlagung seiner Selbständigkeit, zur einzigen zuständigen Organisation für den sanitären Unfall- und Katastrophenschutz zu machen. Angesichts solcher verbandsoffizieller Verlautbarungen ist es schon eine versteckte Kritik am DRK, wenn es mit seinen eigenen Grundsätzen (wie z.B. Humanität, Neutralität und Unparteilichkeit) konfrontiert wird. In der letzten Abteilung der Ausstellung werden denn auch einige Lernprozesse des DRK angedeutet. Krieg soll von vorneherein verhindert werden. Daher hat man sich auch der Forderung nach Ächtung von ABC-Waffen angeschlossen.

Henrik Stahr will im Anschluß an dieses Ausstellungsprojekt noch die systematische Verbindung von Kriegsvorbereitungen und DRK-Mitgliederkonjunktur (und das nicht nur im Nationalsozialismus) untersuchen. Im Rahmen einer DRK -eigenen Ausstellung lassen sich solche Fragen anscheinend nicht aufgreifen.

Instrument der herrschenden Klasse

Wer will, findet aber hier und im Katalog noch viel unbekanntes Material. So gab es nach dem 1.Weltkrieg sogar eine pazifistische Strömung im DRK, die sich jedoch nicht lange halten konnte. Für sie war das Rote Kreuz bisher „zu sehr Instrument der herrschenden Klassen“. Selbst um den 8 -Stunden-Tag gab es 1919 in der Schwesternschaft eine monatelange Diskussion. Da sich die Befürworterinnen aber nicht durchsetzen konnten, blieb ihre Arbeit weiterhin nur eine „freiwillige Liebestätigkeit im Dienste des Nächsten“. So lebten und arbeiteten die Schwestern weiterhin ein ganzes Leben lang für ein Taschengeld im „Mutterhaus“, das gleichzeitig als Ausbildungsstätte, Interessenvertretung und Altersversorgungseinrichtung diente.

Leider wird diese Verbandsideologie des Dienens und des selbstlosen Helfens auch für fremde (sehr politische) Zwecke nie besonders hinterfragt. Ich hätte gerne mehr über das Bewußtsein der DRKler erfahren, über die obrigkeitsstaatliche Gesinnung und den Patriotismus auch der einfachen Mitglieder. Was hat sich heute daran geändert? Der Rundgang auf der Galerie über das Rote Kreuz von heute ist nur noch eine Bildergeschichte. Dabei hätte mich schon interessiert, wie sich das DRK, das seine eigene Wohlfahrtstätigkeit vom Subsidiaritätsprinzip herleitet, sich von diesem Prinzip als Finkscher Senatspolitik absetzt. Das wäre wahrscheinlich zuviel Politik gewesen. Denn das offizielle DRK hält sich ja immer noch für unpolitisch. Viel mehr über das Bewußtsein der DRKler konnte man auf ihrem dreitägigen 100-Geburtstagsfest zwischen Rettungszelten und Rettungswagen zu den Klängen der Gerry Balz Band erfahren.

Kruzifer

„Im Mittelpunkt der Mensch. Eine Geschichte des Roten Kreuzes in Berlin und Neukölln.“ Heimatmuseum Neukölln, Ganghoferstraße 3-5, 1-44, Mi 16-20, Do-Fr 12-16, Sa 13-18, So 12-16 Uhr, bis zum 3.10.

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