CASABLANCA - MON AMOUR

Nach Marokko zu fahren, ohne Casablanca zu sehen, ist wie Paris zu besuchen, ohne über die Quais der Seine zu schlendern, oder nach England zu fahren, ohne in einem Londoner Pub ein oder zwei schäumende Biere zu trinken. Unverzeihlich!

Ich liebe Casablanca.

Sie nicht?

Gerade weil Sie Casablanca nicht lieben, liebe ich diese Stadt. Denn wenn Sie in einem Londoner oder Berliner Vorort Ihre Koffer packen, dann sagen Sie Ihren Freunden, der Familie oder dem Hausmeister: „Wir fahren im Urlaub nach Marokko, werden aber natürlich einen großen Bogen um Casablanca machen.“ Dieses „natürlich“ schmerzt. Es riecht nach Pauschalurteil. Sie sagen es mit verächtlich heruntergezogenen Mundwinkeln... Als wenn man mit ein paar Worten der Verachtung drei bis vier Millionen Männer, Frauen und Kinder von der Landkarte wischen könnte.

Casa ist nicht so, wie Sie glauben. Nicht nur so, wie Sie glauben: diese kompromißlose Stadt, die ihre Geschäfte in den Polstern eines Mercedes mit abgedunkelten Scheiben treibt und dabei alle roten Ampeln überfährt, denn die Geschäfte warten nicht. Nicht anders als in London, Berlin und Paris...

Casa, das sind auch die Pferdedroschken, die gemächlich über den Boulevard Ibn Tachefine traben; das ist die Zeitung, die sich 'Morgen‘ nennt und am Abend verkauft wird; das ist ein vergessener Baum, umgeben vom Beton eines einsamen Platzes; eine begehrte Freundin, die nicht zum Rendez-vous erscheint.

Von Casa träumten die Leute aus Fez, wenn sie ans Meer dachten. Aber das Meer gibt es in Casa nicht. Die Stadt hat sich dem Land zugewandt, wie ein gestrandetes Boot, das die Wellen ausgespuckt hat.

Casa ist die Freiheit, die ihre Fesseln abgeworfen hat. Ein Kandidat fürs Exil, der im Hafen bleibt; eine verschleierte Frau am Arm ihrer Tochter im Minirock.

Aber es genügt, die Tür ein wenig weiter aufzustoßen... Damit die Kinder in den Straßen dir geben, was verkäuflich ist. Und die Dichter angesichts der Nacht im Slum die Sterne regnen lassen.

Es genügt, die Tür aufzustoßen. Ein bißchen mehr...

G.L.