Untersuchung der SAS-Morde

Erschießung von drei IRA-Mitgliedern in Gibraltar vor Gericht / Beispiellose Rufmordkampagne gegen Augenzeugen in der britischen Presse / kommen SAS-Soldaten zur Verhandlung?  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Manchmal fühle ich mich, als ob ich die drei Menschen selbst erschossen habe. Die britische Presse hat versucht, aus mir eine Kriminelle zu machen.“ Das englische Boulevardblatt 'The Sun‘ hat die in Gibraltar lebende Spanierin Carmen Proetta „das Flittchen von Gibraltar“ getauft. Ihr „Vergehen“ ist, daß sie etwas gesehen hat, das sie nicht sehen sollte: den Mord einer SAS-Einheit (das britische Pendant zur GSG9) an drei unbewaffneten IRA -Mitgliedern im März in Gibraltar. Eine offizielle Untersuchung der Vorfälle beginnt heute in der Kronkolonie.

Die IRA-Leute Mairead Farrell, Sean Savage und Danny McCann hatten angeblich einen Anschlag auf das „Royal Anglian Regiment“ in der britischen Kronkolonie geplant. Die britischen Behörden waren schon seit November letzten Jahres von verschiedenen Reisen der IRA-Einheit nach Gibraltar informiert und beobachteten sie ständig. Am 6.März gingen Farrell, Savage und McCann zu Fuß in Richtung spanische Grenze, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Wagen der Polizei Gibraltars anhielt. Aus dem Polizeiauto sprangen sieben Soldaten eines SAS-Kommandos und rannten über die Straße. Ohne Vorwarnung eröffneten sie das Feuer auf die drei IRA-Mitglieder. Farrell und McCann starben im Kugelhagel, während Savage noch wenige hundert Meter fliehen konnte. Dann wurde auch er von einem nachsetzenden SAS -Soldaten durch einen Schuß in den Rücken getötet.

Carmen Proetta hatte das Geschehen von ihrem Balkon aus beobachtet. Sie sagte später aus, daß die drei IRA-Leute ihre Hände erhoben hatten, um sich zu ergeben. Dennoch seien sie vom SAS erschossen worden. Carmen Proetta wiederholte ihre Aussage vor den Kameras des britischen unabhängigen Fernsehens ITV. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher versuchte vergeblich, die Ausstrahlung des Interviews Ende April zu verhindern. Einige konservative Abgeordnete forderten gar, ITV die Lizenz zu entziehen und den Sender aufzulösen. Die Dokumentation „Death on the Rock“ löste heftige Diskussionen in der britischen Öffentlichkeit aus - nicht jedoch wegen ihres Inhalts, sondern wegen des Zensurversuchs der britischen Regierung. In einer Umfrage des 'Daily Telegraph‘ vom Mai erklärten 60 Prozent der Befragten, daß sie mit dem Einsatz von SAS-Todeskommandos gegen die IRA einverstanden seien.

Drei Tage nach der Sendung des Proetta-Interviews begann die britische Presse eine beispiellose Rufmordkampagne gegen die 45jährige Spanierin. 'The Sun‘ behauptete, Carmen Proetta sei eine vorbestrafte Prostituierte, Leiterin eines Callgirl-Rings und mit einem Drogenschmuggler verheiratet. Obendrein sei sie eine der 44 „Anti-Briten“, die bei der Volksabstimmung im Jahr 1967 für den Anschluß Gibraltars an Spanien gestimmt haben. Keine der Anschuldigungen ist wahr. „Und selbst wenn die Behauptungen wahr wären“, sagt Carmen Proetta, „würde das doch nichts an meinen Beobachtungen ändern.“ Die angeblich seriösere 'Sunday Times‘ versuchte in einer Artikel-serie, mit Hilfe anderer Zeugenaussagen Proetta als Lügnerin abzustempeln. Sämtliche zitierte Zeugen haben inzwischen bestritten, die ihnen von der 'Sunday Times‘ in den Mund gelegten Aussagen jemals gemacht zu haben. Carmen Proetta hat gegen fünf britische Zeitungen Klage erhoben.

Die Spanierin ist die wichtigste Zeugin in der Untersuchung des SAS-Einsatzes, die heute vor dem Gericht in Gibraltar beginnt. Es gibt eine Reihe weiterer Augenzeugen, die die Aussage von Carmen Proetta untermauern.

Ein bisher unveröffentlichtes pathologisches Gutachten soll weitere Hinweise darauf geben, wie Farrell, McCann und Savage getötet wurden. Der Belfaster Rechtsanwalt Paddy McGrory, der die Familien der erschossenen IRA-Mitglieder vertritt, hat bereits angekündigt, daß er die Rolle der britischen Premierministerin Thatcher in dieser Angelegenheit zur Sprache bringen will. Wenig Beachtung fand bisher der Hinweis der Dubliner Zeitschrift 'Phoenix‘, daß der Einsatz des SAS-Kommandos mit dem Tod der drei IRA-Leute enden mußte: der SAS ist nämlich nicht berechtigt, in Gibraltar Verhaftungen vorzunehmen.

Das Interesse der Medien an der Untersuchung ist sehr groß. Die Hotels in Gibraltar sind ausgebucht. Mit Spannung wird erwartet, ob die beteiligten SAS-Soldaten vor Gericht erscheinen werden.