Kurden zwischen Özal und Irak

Noch 200.000 Kurden warten darauf, aus dem Irak in die Türkei flüchten zu können Türkischer Abgeordneter: Türkei nimmt die Kurden nur wegen internationalem Druck auf  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - „Nach meinen Informationen warten noch rund 200.000 Flüchtlinge auf die Möglichkeit, in die Türkei zu kommen. Bislang ist völlig ungewiß, ob die türkische Regierung diese Flüchtlinge aufnehmen wird.“ Eigentlich ist Cüneyt Canver, Abgeordneter der sozialdemokratischen Volkspartei (SHP) in der Türkei, nach Berlin gekommen, um eine Kampagne zur posthumen Rehabilitierung des berühmtesten türkischen Filmemachers Yilmaz Güney zu unterstützen. Doch die kurdische Tragödie an der türkisch-irakischen Grenze läßt ihm keine Ruhe. „Ich muß davon ausgehen“, so Canver zur taz, „daß die türkische Regierung die Flüchtlinge nur über die Grenze gelassen hat, um international nicht der Beihilfe zum Völkermord bezichtigt zu werden. Deshalb ist es wichtig, daß die europäische Öffentlichkeit genau schaut, was in Kurdistan passiert.“

Vor einigen Monaten sorgte er für ein Novum in der türkischen Parlamentsgeschichte. Er war der erste Abgeordnete, der es wagte, im Parlament von Kurden zu sprechen und damit die offizielle Sprachregelung zu durchbrechen, die die Existenz eines kurdischen Volkes in der Türkei überhaupt leugnet. So vermeidet es der türkische Ministerpräsident Özal auch in der aktuellen Situation, das Wort Kurden in den Mund zu nehmen. Für die türkische Regierung handelt es sich bei den kurdischen Flüchtlingen um „Moslems aus dem Irak“, die zu ihren Verwandten in der Türkei kommen.

„Das Militär ist bereits jetzt sehr nervös, da unter den Flüchtlingen auch etliche kurdische Peschmergas (kurdische Guerilleros) sind, die man langfristig unter Kontrolle halten muß.“ Die Armee, so meint Canver, hat Angst, daß durch die Flüchtlinge die Verbindungen zwischen Kurden aus der Türkei und dem Irak enger werden und die türkische Kurdenpolitik stärker ins öffentliche Interesse gerückt wird. Das wollen Regierung und Armee auf jeden Fall verhindern, erklärt Canver, und verweist noch einmal auf eigene Erfahrungen. Unmittelbar nach seiner Parlamentsrede, in der er für die Rechte der rund 10 Millionen in der Türkei lebenden Kurden eingetreten war, setzte die Regierungsmehrheit eine Bestimmung durch, nach der es auch Abgeordneten verboten ist, öffentlich über Kurden zu reden. „Die Reaktion auf meine Forderung, die Existenz des kurdischen Volkes endlich anzuerkennen, war hart und unmenschlich,“ beschreibt Canver. Für eine Einschätzung, welchen Einfluß die Flüchtlinge auf die türkische Kurdenpolitik haben könnten, ist es nach Meinung Canvers noch zu früh. Es gibt, so berichtet er, vor allem in der Opposition einen vorsichtigen Umdenkungsprozeß. Innerhalb der Regierung spiele sich jedoch in dieser Richtung nichts ab. „Özal hofft zur Zeit noch, den größten Teil der Flüchtlinge an dritte Länder weiterreichen zu können.“