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„Wer lügt hier rund um die Uhr?“

■ Geisel-Affaire: Alle Fragen blieben offen / Bremer Landesparlament beschloß die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses einstimmig / SPD-Sprecher stellt kurz das Wort von der „Schuld“ in den Raum

Parlamentarische Rituale haben etwas fürchterliches. Der Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses war form- und fristgerecht gestellt, die CDU hatte die notwendigen Stimmen für das Minderheiten-Recht zusammen - die Sondersitzung mußte also einbe

rufen werden. Anlaß genug, seine Redemanuskripte von vor zwei Wochen noch einmal vorzukramen. Zwar regelt § 43 der Geschäftsordnung des Hohen Hauses eindeutig, daß „die Redner im freien Vortrag (sprechen)“, das hinderte aber niemanden. Der CDU-Fraktions-Chef Reinhard

Metz hatte bei sich eine gelungene Passage entdeckt und erlaubte es sich so, sätzelang Metz zu zitieren. Er zählte noch einmal die offenen Fragen auf, die für ihn die Notwendigkeit des Untersuchungs-Ausschusses begründen. „Wirklich fast nicht mehr zu ertragen“, so liest Metz Wort für

Wort vor, sei es, wenn offenbar aus Senatskreisen das Gerücht lanciert worden sei, der 15jährige Italiener sei an den Folgen falscher notärztlicher Behandlung verstorben. Und die Behauptung der Polizei, durch eine Radio-Nachricht seien die Bankräuber auf ihre Verfolger aufmerksam

gemacht worden. „Wer lügt hier eigentlich rund um die Uhr?“ liest Metz empört ab.

Die Sprecherin der Grünen, Carola Schumann, wiederholt den Appell an die liberale Strategie, der der Schutz der Geiseln wichtiger ist als ein vermeintlicher Strafanspruch des Staates. „Ihre Zusicherung, Herr Senator, einen freien Abzug ohne Polizeiverfolgung mit dem Gewicht Ihres Amtes zu gewährleisten, hätte vielleicht ein unblutiges Ende des Geiseldramas ermöglicht.“

Der erste, der nicht abliest und insofern die Möglichkeit hat, auf Argumente einzugehen, ist der FDP-Chef Claus Jäger. Er mahnt den Innensenator zu der „Sensibilität“, die im ersten Teil der Debatte vor zwei Wochen an ihm zu beobachten war. Nach der Mittagspause, in der die SPD-Fraktion getagt hatte, war Meyer „umgekehrt, wie ich es nicht für möglich gehalten habe“, erinnerte Jäger. Der Innensenator hatte über seine Verantwortung in der Geisel-Affaire gestritten, wie man ihn aus Bau-Debatten kennt.

Peter Sakuth, innenpolitischer Sprecher der SPD, kam nach einigen Allgemeinplätzen („Konsequenzen werden dort ansetzen, wo sie nötig sind“) zu demselben Punkt zurück: „Wie er mit seiner Schuld umgeht“, sei ein entscheidendes Kriterium, formulierte er, und: „Wir alle lernen an Niederlagen“. Der Leserbrief eines Pfarrers hatte Sakuth beeindruckt und auf diese sonst politikfremden Gesichtspunkte gebracht.

Aber Meyer hat weder von Schuld noch von Niederlage jemals gesprochen. Eigentlich wollte er sich heraushalten an die

sem Tag, da er der Betroffene sei, erklärte er. Der Regierungschef Wedemeier sprang für ihn in die Bresche. Auch der Senat sei an Aufklärung „interessiert“, bekannte Wedemeier, und habe „zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen“ informiert. Gerüchte? „Es sind keine Gerüchte ausgestreut worden.“ Sozialdemokraten seien hier nicht auseinanderzutreiben, stellte er - ein klein wenig auch in die Rolle des Fraktionsvorsitzenden schlüpfend - kategorisch klar. Und nach ein paar flapsigen und ein paar polemischen Äußerungen setzte Wedemeier dann, fast überhörbar, den Punkt: „Der Senat steht für eine liberale Innen-und Rechtspolitik ... mit einem Innensenator Bernd Meyer.“

Die folgende Rednerin fand „Meine Damen und Herren, viele Fragen sind offen“ auf ihrem Sprechzettel, konnte also auf die Stellungnahme Wedemeiers nicht eingehen. Als Innensenator Meyer schließlich zum Mikrophon ging, um ein paar Detail-Informationen zum Polizeieinsatz nachzureichen, war das ganz arglos in die Debatte gerutschte Wort von „Schuld“ oder „Niederlage“ längst unter einem Stapel von Redepapieren vergraben. Was sagt das ärztliche Gutachten über die Überlebens-Chancen des Italieners? Warum wurden die Bankräuber so eng verfolgt, daß die Beschattung auffliegen mußte? Warum trat die polizeiliche Verfolgung nicht wenigstens nach der Geiselnahme der 30 Bus-Insassen einen Schritt in den Hintergrund? Zu all‘ diesen Fragen sagte Bernd Meyer kein Wort, es scheinen nicht mehr die des Innensenators zu sein.

K.W.

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