Eins zu Null für Wagner

■ Die Saison ist vorbei, Kupfers „Ring“ wurde beklatscht und ausgepfiffen. Die taz durfte nicht zu den Premieren, zum erstenmal in der kurzen Geschichte dieser Zeitung. Ihr wurde ein Platz im dritten Zyklus zugewiesen. Deshalb keine Kritik, sondern eine Nachlese. Bayreuth ist eine Werkstatt, die Diskussion noch längst nicht abgeschlossen. Nächstes Jahr die zweite Runde.

Barenboim sollte Kammermusiker werden. Die Kritiker sagen, er dirigiert zu langsam. Dabei läßt er der Liebe Zeit. Riskiert Pausen, Solostimmen, den einzelnen Ton. Intimität. Man hört, wie es ihnen die Sprache verschlägt. Die Scheu vor dem andern, die Unsicherheit. Liebe macht Angst. Paare

Siegmund und Sieglinde sind ein Paar wie bei Rohmer. Zwei Siebzehnjährige, die nicht wissen, wie das mit dem Lieben geht. Pubertäts-Studien, das ganze Vokabular der Verliebtheit: die schüchternen Blicke, die peinlichen Gesten, das Schwachwerden. Doch Wagner hat den längeren Atem. Lange vor dem Höhepunkt ist Kupfers Repertoire verbraucht. Gegen die himmlischen Längen kommt er nicht an. Als das Begehren sich steigert zur höchsten Lust, zu diesem wahnsinnigen Moment, wenn Sieglinde ihren Bruder beim Namen nennt und die Musik gleichzeitig die Liebe verflucht, stellt er Siegmund als Säulenheiligen an die Weltesche und Sieglindes Nachthemd verheddert sich. Koitus interruptus.

Ein anderer: Wotan und Brünnhilde. Kupfer inszeniert nicht, daß die beiden sich wollen, nur wie sie sich verpassen. Vater und Tochter dürfen sich nicht lieben. Das Verbot macht ihre Beziehung so erotisch. Nur bei Kupfer nicht. Sie geben einander die Hand, legen sich nebeneinander und küssen die Erde.

Feuerzauber. Brünnhilde wird in einem Leuchtkubus aufbewahrt, in einem abstrakten geometrischen Gebilde. Die Frau als Mythos. Nach dem Verzicht die Ersatzbefriedigung. Ein gelungenes Bühnenbild, das nicht funktioniert, weil Kupfer vorher nicht gezeigt hat, was da ersetzt wird.

Siegfried und Brünnhilde. Ein grandioses Mißverständnis. Ein lüsterner Mann und eine berechnende Frau. Brutal, wie sie am Ende die Beine spreizt. Ich glaube nicht, daß sie das hohe c singen würde, wenn sie nur ihren Plan im Kopf hätte. Man müßte inszenieren, daß die Liebe immer ein Mißverständnis ist. Daß das eine das andere nicht ausschließt, sondern bedingt.

Siegfrieds Abschied. Ein Ehepaar, „zusammengepfercht auf engstem Raum, Gefängnis und Kemenate in einem“ (Bühnenbildner Hans Schavernoch). Ein schräg hochgestelltes finsteres Quadrat als trauriger Überrest des Leuchtkubus. Daneben ein Schacht, durch den man ins Freie gelangen kann. Siegfrieds Blick schweift in die Ferne, Brünnhilde bleibt zu Hause. Mit Strickjacke und Handarbeit. Das Quadrat und der Schacht bilden zugleich die Luft-Ansicht einer Reihenhaussiedlung. Diese viel zu kleinen Wohnungen überlebt die beste Ehe nicht. Brünnhildes Nähzeug macht daraus dummes Schülertheater.

Das letzte Paar. Der Held ist tot, der Krater reißt auf, Siegfried versinkt im Boden. Trauermarsch. Bei Wagner ist die Bühne leer. Kupfer stellt Wotan auf die eine Seite des Abgrunds, Brünnhilde auf die andere. Zum erstenmal einander zugewandt. Zwischen ihnen der Krater, Siegfried. Das, was sie verbindet, die dumme Hoffnung auf diesen Burschen, trennt sie zugleich. Die beste Szene. Die einsamen Männer

Günter von Kannen singt Alberich. Ein dicker Opernsänger, den Rheintöchtern ist er zu häßlich. Er will sie haben, aber sie lassen ihn nicht ran. Günter von Kannen singt nicht seinen Text, ihm kommen die Worte. Es bricht aus ihm heraus. So geil, wie er anfangs ist, so wütend verflucht er die Liebe. Es ist dieselbe Leidenschaft. Liebeskummer deformiert. Macht häßlich oder zum Monster. Auch die Riesen sind bei Kupfer verschmähte Liebhaber.

Den Mut zum häßlich Ton hat sonst nur noch Graham Clark. Zunächst als Loge. Eine Mischung aus Prince und Presley, Mephisto als Punk. Mit schneidender Stimme und englischem Akzent. Dann als Mime: ein Charlie Chaplin ohne Rose im Knopfloch. Einer, der verschlagen sein will, aber drei Nummern zu klein ist. Ein drahtiges Männlein, ein Akrobat. Publikumsliebling. Alleine sein Gang, dieses bei Chaplin abgeguckte schlechte Gewissen beim Betreten des Bodens. Kupfer müßte ihn nicht auch noch ständig Fingernägel kauen lassen.

Auch Graham Clark singt am Rande des Sprechens, des Geräuschs. Clark und von Kannen sind die einzigen, die sich singend entäußern, sich Blöße geben. Die andern, Siegfried Jerusalem und Reiner Goldberg (Siegfried) und Peter Hofmann (Siegmund) halten an sich, des schönen Tons zuliebe. Ihre Stimme gibt nichts her. Das Timbre ist ihnen alles, ihr Gesang redet nicht.

Kupfer sagt, die Sänger singen besser, wenn sie sich bewegen. „Der Ton wird dadurch konkret, noch dazu, wenn man ihn richtig denkt.“ Wahrscheinlich hat er recht. Bloß können die meisten Sänger sich nicht bewegen. Deborah Polaski singt zwar von Abend zu Abend besser, je mehr Brünnhilde sich emanzipiert. Aber immer sieht man, daß sie spielt. Gottvater

Wotan manipuliert den Waldvogel. Kupfer zerstört die Idylle der unberührten Natur, das hat ihm viel Ärger eingebracht. Mir ist das zu pädagogisch. Viel besser die Szene, in der Siegfried sein Horn bläst. Erst das Hornmotiv, dann das Siegfriedmotiv. Kupfer - in eigenwilliger Abwandlung Wagners - läßt Wotan das Siegfriedmotiv blasen. Wotan spielt Siegfried seine eigene Meldoie vor. Adorno hat geschrieben, Siegfried sei keine richtige Person, spreche von sich immer in der dritten Person: „Da redet's ja!“ Das weckt den Wurm in der Höhle.

Wotan tötet Siegmund. Er packt ihn und stößt ihn in Hundings Schwert. Hält ihn als Toten noch fest. Die Bewegung enthält beides: daß er ihn von sich stößt und gleichzeitig an sich zieht. Darin ist Kupfer ein Meister. Bühnenbild

Mal abstrakt: Die „Straße der Geschichte“ Zentralperspektive pur. „Rheingold“ als Laserstrahlenfächer. Von einem Punkt aus projiziertes Licht. Der Anfang der Welt als Beginn des Kinos. Die Bilder lernen laufen, und das Publikum ist die Leinwand.

Mal konkret: Walhall als Bankhochhaus. Die Gibichungenhalle - New York bei Nacht und Gutrune als Marylin Monroe. Postindustrielle Trümmerlandschaften. Ein geborstenes Rohr, das Kraftwerk von unten, die Titanic verrottet, eine verrostete Bohrinsel. Ein bißchen zu modisch.

Mal konventionell: der Bär, Brünnhildes Pferd, das Schwert, der Speer, das Horn.

Frage an den Bühnenbildner: Warum wann was? Antwort Schavernochs: „Gute Frage.“ Schlechte Antwort. Götterdämmerung

Kupfer konterkariert. Der Weltuntergang als Salonvergnügen. Man trinkt Sekt, guckt die Tagesschau, und die Wände wackeln ein bißchen. Kupfers Absicht in Ehren. Aber sie mißlingt, weil das Bild gegen die Musik nicht ankommt.

Sieglindes Motiv, das bißchen Liebe am Ende. Zwei süße kleine Kinder suchen im Laserstrahlengewirr den Ausgang. Mit Taschenlampe. Ich hatte befürchtet, das sei billiger Kitsch. Es ist billiger Ktisch. Deshalb ist es gut. Das, was Kupfer Utopie nennt, läßt sich bestenfalls im Kitsch zeigen. Daß die beiden den Ausgang nicht finden, ist ziemlich wahrscheinlich.

chp