Frauen in der Westbank: Wachsende Wut

Seit Beginn der Intifada entstanden Frauen-Arbeitskomitees in Flüchtlingslagern / Alphabetisierung, Kindergärten und Kliniken / Spendenaktionen und Demonstrationen  ■  Aus Jerusalem Rolly Rosen

Die Straßen vor dem Deheisha-Flüchtlingslager in der Westbank: Ein Kamerateam des israelischen Fernsehens verfolgt eine Gruppe von Soldaten, die durch die Straßen patroullieren. Plötzlich tauchen ein paar Jugendliche auf, werfen Steine und verschwinden wieder in den Gassen. Das Bild wird wackelig, der Kameramann läuft den Soldaten hinterher, die die Jugendlichen verfolgen. Bald kommen sie aus einem der Häuser und schleppen einen Jungen mit. Doch nun kehrt sich das Spiel um: Eine Gruppe von Frauen läuft den Soldaten hinterher - schwarz gekleidet, mit geballten Fäusten, die Gesichter voller Wut, zum Himmel schreiend. Die Soldaten sehen ziemlich erschrocken aus, die Kamera konzentriert sich auf die Frauengesichter, eine, die da läuft, ist die Mutter des Jungen. Bald wird sie ohnmächtig. Die Filmszene ist beendet, der Korrespondent im Fernsehen spricht schon über etwas anderes, aber das Bild prägt sich ins Gedächtnis ein: Eine der vielen Änderungen, die die Intifada für die palästinensische Gesellschaft mit sich gebracht hat, ist die Teilnahme der Frauen am Kampf. „Und das“, sagen Amal Wachdan, Fadua Labadi und Anan Zakut, Aktivistinnen in verschiedenen Frauenorganisationen, „ist ein Prozeß, der irreversibel ist.“

Die drei Frauen wohnen in einem Haus - zusammen mit Wachdans beiden kleinen Kindern und der Mutter von Labadi. Seit dem Beginn der Intifada ist das große Steinhaus in dem Dorf Abu-Dis zu einer Art Frauenhaus geworden: Wachdan ist eingezogen, als sie selbst aus dem Gefängnis zurückkam und ihr Mann weiter verhaftet blieb. Labadi war einen Monat lang verhaftet, bis sie nach Hause zurückkehren konnte. Zakut ist erst vor zwei Monaten eingezogen, als sie den zweiten Bruder heiratete. Einen Monat nach der Hochzeit wurde er verhaftet, seit vierzig Tagen hat sie ihn nicht mehr gesehen und nichts von ihm gehört. Wenn sie über ihn redet, werden ihre Augen ein bißchen feucht, sonst läßt sie sich nichts von ihrem Kummer anmerken.

Sie kommen aus verschiedenen Teilen der palästinensischen Gesellschaft: Zakut, die jüngste, eine 24jährige Studentin der Universität Bir-Zeit, ist die Tochter einer Flüchtlingsfamilie aus Gaza, wo sie in dem Lager Shati aufgewachsen ist. Wachdan, 30, stammt aus einer Familie in der Kleinstadt El-Bireh, und Labadi, 40, ist Lehrerin in dem Dorf Abu-Dis. Ihre Politisierung, erzählen sie, hat schon früh begonnen: Für Wachdan gab das Leben unter der Besatzung den Ausschlag, die Soldaten, die in die Schule einbrachen, um demonstrierende Mitschülerinnen von den Frauenorganisationen zu verhaften. Labadi war schon lange in der Lehrer-Gewerkschaft aktiv, wurde auch deswegen entlassen. Für Zakut war es das Leiden der Frauen in den Flüchtlingslagern: „Sie sind doppelt unterdrückt“, sagt sie, „erstens wie alle anderen Palästinenser und zweitens von ihren Männern.“ Um den Frauen zu helfen, wurde Zakut Mitglied im Frauen-Arbeitskomitee des Lagers - eine Organisation, die Lese- und Schreibschulen für Frauen eröffnet hat, Kindergärten und Kliniken und kleine Fabriken, wo Frauen arbeiten können, um selbst etwas zu verdienen. „Wir haben versucht, ihr Bewußtsein zu stärken, ihnen zu erklären, daß ihre Probleme Teil des Frauenproblems in der ganzen Welt sind. Es ist eine sehr schwere Arbeit, denn die palästinensische Gesellschaft ist sehr traditionell und patriarchalisch. 60 Prozent der Frauen können weder lesen noch schreiben. Wir haben noch viel zu tun“, erzählt Zakut.

Seit Beginn der Intifada hat sich viel für die Frauen verändert. Sie werden mit neuen Situationen konfrontiert, wenn Soldaten in ihre Häuser einbrechen, Söhne, Brüder und Männer vor ihren Augen schlagen, beleidigen oder verhaften. „Das hat die Wut größer gemacht und auch die Kampfbereitschaft“, sagt Wachdan. Frauen, die früher ohne die Erlaubnis ihrer Männer nicht das Haus verließen, gingen plötzlich allein zu Demonstrationen. Diesen Prozeß haben auch die Kommandanten der Intifada zur Kenntnis genommen. In einem Flugblatt wurden die Frauen aufgerufen, vor den Büros des Roten Kreuzes zu demonstrieren, um die Freilassung aller Inhaftierten zu fordern.

Zwar habe keine Revolution stattgefunden, meint Zakut, aber vieles habe sich schon bewegt: „Das sind Entwicklungen, die Zeit brauchen, um sich zu entfalten. Aber die kleinen Schritte, die gemacht worden sind, kann man nicht übersehen.“

Im Zuge der Intifada sind auch den Frauenorganisationen neue Aufgaben zugefallen. Zakut: „Die Sorge für die Familien der Gefallenen oder Verhafteten fiel in unsere Verantwortung, wir haben Geld für die Familien gesammelt, Kleider für die Kinder, Nahrungsmittel gespendet und verteilt. Frauen, die an dieser Arbeit teilnahmen, wurden dadurch auch in ihrem Selbstbewußtsein gestärkt.“

Leicht ist es für palästinensische Männer nicht zu verkraften, daß ihre Frauen selbstbewußter werden. Gerade religiöse Palästinenser fühlen sich häufig in ihrer Ehre verletzt, wenn sie die Kontrolle über „ihre“ Frauen verlieren.

„Auch die militärischen Besatzer freuen sich nicht besonders über diese neue Entwicklung“, sagt Zakut. Die Listen der Gefangenen geben ihr recht: Seit Beginn der Intifada sind mehr als hundert Frauen verhaftet worden, zur Zeit befinden sich noch 34 Frauen in Haft; sechs von ihnen in administrativer Haft, sie alle sind aktiv in den Frauen -Arbeitskomitees in der Westbank oder in Gaza, drei von ihnen Mütter kleiner Kinder. Auch Wachdan könnte jeden Tag wieder verhaftet werden. Trotzdem bleibt sie aktiv - nach dem Gespräch fährt sie zurück nach Jerusalem zu einer Demonstration für die Freilassung aller administrativen Häftlinge.