Weichen gestellt

■ Walesa und Kiszczak treffen sich

Am liebsten hätten die polnischen Kommunisten eine Reform, bei der weiterhin alle Fäden im Regierungszentrum zusammenlaufen. Eine Reform von oben, die zwar der Wirtschaft auf die Sprünge hilft und auch sonst den Werktätigen ein bißchen mehr vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt zukommen läßt, aber an der politischen Struktur nichts verändert. Doch Gomulkas und Giereks Zeiten sind vorbei. Die Einparteienherrschaft in Polen neigt sich dem Ende zu, die Macht muß mit der Oppositon geteilt werden.

Selbstverständlich wollen das die meisten Nutznießer des Regimes nicht wahrhaben und versuchen mit allen Tricks, den polnischen Kompromiß so faul wie möglich zu gestalten. Auch für die Reformer auf Regierungsseite kommt es immer noch vor allem darauf an, möglichst viel an Machtpositionen in die Zukunft hineinzuretten. Doch diese Politiker wissen auch, daß in der Frage der Gewerkschaftsfreiheit schon jetzt Zugeständnisse zu machen sind und daß die Demokratisierung der Gesellschaft, ohne die Monopolstellung der Kommunisten aufzugeben, letztlich nicht zu haben ist.

Walesas Verhalten und die gemäßigten Töne auf den Versammlungen der Opposition zeigen, wie gelassen die „Gesellschaft“ inzwischen reagieren kann. Noch bevor der Kompromiß verhandelt wird, ist das Denken in gesamtgesellschaftlichen Kategorien in den Vordergrund geraten. Es geht vielleicht um die letzte Chance, der polnischen Gesellschaft aus der Agonie zu helfen. Im Wissen darum soll die andere Seite nicht überfordert werden. Jetzt, wo es eigentlich um die zukünftige Machtverteilung geht, ist Gelassenheit der beste Ratgeber der Opposition.

Erich Rathfelder