Wenn der Himmel sich verdunkelt

■ Vito Fumagallis Studie zum Lebensgefühl im Mittelalter

Erscheinungen des Himmels wie Mond- und Sonnenfinsternisse galten seit dem frühen Mittelalter als Vorboten des Unheils; sie kündigten Tod und Weltende an, das glaubten nicht allein die Bauern mit ihren heidnischen Bräuchen, sondern auch die Geistlichen, die einen mächtigen göttlichen Zorn fürchteten. Der heidnische Glaube jener Zeit zeugt von einer Grundhaltung der Angst, einem Ausgeliefertsein gegenüber den Kräften der Natur.

„Verdunkelte sich der Mond bei einer Mondfinsternis“ - so beschreibt Fumagalli ein Ritual der Naturbeschwörung - „dann halfen die Bauern ihm, sich wieder zu erholen, indem sie aus vollen Kräften die Trompete bliesen und Schellen schwangen. Sie fürchteten, mit dem Verlöschen des Gestirns, das alles tierische und pflanzliche Leben lenkte, würde auch dieses aufhören. „Form und rötliche Farbe der Wolken bei Sonnenuntergang deutete man als Vorausschau von Krieg und Tod, von Schlachten und Gemetzeln, denn die ständige Bedrohung durch gewaltsame Überfälle war wohl eine Grunderfahrung der meisten Menschen. Schreckliche Einbildungen erschienen als Visionen des 'jüngsten Gerichts‘, Zeichen dafür, daß 'der Tag des Herrn‘ nah sei. Man glaubte, Signale einer Welt der Toten zu erblicken, die die Menschen gleichsam in Bann schlugen: Kometen, Sternschnuppen am Himmel und der sandige Regen aus Afrika, der aussah, als ob Blut auf die Erde niederginge.

Für den mittelalterlichen Menschen muß das Verhältnis zur Natur im Zentrum seines Lebens gestanden haben, zu einer Natur, die weithin die Monumente antiker Kulturen überwuchert hatte; Tiere weideten in den Ruinen verfallener Bauwerke. Beängstigende Legenden, die einen tiefen Glauben an Wunderdinge aus sich herauslesen lassen, sind von den Chronisten des hohen Mittelalters überliefert worden, es sind phantastische Berichte, die gerade um die Jahrtausendwende zunehmen, in einer Zeit also, in der man mit der Zurückdrängung der alle umgebenden Wildnis begann. Der dichte, dunkle und undurchdringliche Urwald, der weite Teile Europas bedeckte, wurde nach und nach ausgegrenzt und wirkte immer fremder und bedrohlicher. Die Erzähler von Heiligen- und Heldenlegenden schildern Schrecken und Panik angesichts übernatürlicher Geistererscheinungen, während sie zu Krieg und Tod ein eher gleichmütiges, lakonisches Verhältnis bezeugen.

Die Geschichte der Mentalität des mittelalterlichen Menschen, die der italienische Historiker Vito Fumagalli in diesem schmalen Überblickswerk zusammenfaßt, bildet immer noch Neuland, zumindest im deutschsprachigen Raum; erst in letzter Zeit haben vor allem französische und italienische Studien auf diesem Gebiet zugenommen. Fumagallis Buch veranschaulicht eine Epoche, gibt kritische Hinweise auf bisherige Annahmen der Geschichtswissenschaft und liefert gut verständliche Einführung in Geisteshaltungen und Glaubensgewißheiten des Mittelalters; es macht neugierig und bietet Anreiz zu Recherchen. So entsteht ein einprägsames Bild der Erwartungen und Einstellungen, sogenannter Selbstverständlichkeiten, von denen Menschen einmal ausgegangen sind und die sie, bewußt und unbewußt, gelebt haben. Fachgelehrte, die uns das schwer erschließbare Mittelalter anzunähern verstehen, ohne gleich 'populär‘ zu schreiben, deren Bücher motivieren können und nicht im schlechten Sinne ihr Thema 'erschöpfen‘ - sie sind immer noch die Ausnahme, und das besonders hierzulande.

Vito Fumagalli: Wenn der Himmel sich verdunkelt. Lebensgefühl im Mittelalter. Aus dem Italienischen von Renate Heimbucher-Bengs. Wagenbachs Taschenbücherei 156, Berlin 1988; DM 14, Jörg Becke