Zypriotisches Gipfeltreffen im Geisterhotel

Hinter Stacheldraht und unter der Flagge der Vereinten Nationen haben die Verhandlungen über die Zukunft der Mittelmeer-Insel begonnen / Der Chef der zypriotischen Türken, Rauf Denktasch gibt sich optimistisch  ■  Aus Nikosia Klaus Hillenbrand

Die Fassade ist von MG-Feuer beschädigt. Stacheldraht umspannt den Vorgarten. Bewaffnete Soldaten der UNO -Friedenstruppe umrunden den vertrockneten Swimmingpool. Statt der Flaggen aus aller Welt gibt es hier nur eine Fahne: Der blaue Lappen der Vereinten Nationen hängt schlapp in der Mittagssonne. Willkommen im Hotel „Ledra Palace“ im zypriotischen Niemandsland zwischen den Fronten.

Das einstmals „schönste Hotel des Nahen Ostens“, erbaut im venezianischen Stil, hat seit dem Krieg 1974 keinen zahlenden Besucher mehr gesehen. In der ehemaligen Luxusherberge wohnen heute kanadische UNO-Soldaten. Doch heute drängeln sich 200 Menschen auf der ehemaligen open-air -Tanzfläche, um die man eine Kordel gespannt hat. Das „Ledra Palace“, Symbol für die Teilung Zyperns, lädt ein zur ersten Runde der Friedensgespräche zwischen Zyperns Präsident Georgios Vassiliou und dem zyperntürkischen Volksgruppenführer Rauf Denktasch.

Einen Schlagbaum überqueren, eine Durchleuchtung der Taschen, drei Personenkontrollen von Polizei, Presseamt und UNO, dann sind wir am Ziel, dem Innenhof des Ex-Hotels. Australische Militärpolizei hält warme Limonade bereit. Doch zunächst passiert überhaupt nichts und die Journaille nutzt die Gelegenheit, um sich gegenseitig zu interviewen. Das macht hier durchaus Sinn: Wo sonst (außer im neutralen Ausland) können sich schon Zyperngriechen und Zyperntürken so frei unterhalten? Ginge es nach den Gesprächen auf der Tanzfläche, wäre Zypern längst wiedervereinigt - auch wenn die Antworten nicht immer so ausfallen, wie das Gegenüber sich das wünscht: „Was erwarten Sie von der heutigen Begegnung?“, fragt eine zyperntürkische Reporterin. „Nichts“, ist die eindeutige Antwort des zyperngriechischen Pressefotografen. „Ich mache hier nur meinen Job.“

Autolärm von rechts. Es erscheint der Mercedes 300 D von Rauf Denktasch, Präsident der nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“. Fahrgeräusche von links. Der schwarze 500 SEL von Präsident Vassiliou trifft ein. Im Inneren des Geisterhotels hat man den Gang bis zum Konferenzzimmer eiligst renoviert und einen roten Teppich ausgerollt. Hinter spanischen Wänden sind Offiziersmesse und Mannschaftsräume versteckt.

Erst vor rund drei Wochen vereinbarten Vassiliou und Denktasch unter Vermittlung von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar neue Verhandlungen um die Zukunft der Insel. Bis zum 1.Juni 1989, so will es Perez, soll die „Bundesrepublik Zypern“, bestehend aus einem griechischen und einem türkischen Gebiet, auf dem Papier perfekt sein. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Besonders die Frage des Rückzugs der 35.000 türkischen Soldaten aus dem Norden ist noch offen. In diesem Punkt können sich die Zyprioten so einig sein wie sie wollen: Eine Entscheidung kann nur in Ankara gefällt werden. Dort allerdings ist man neuerdings stärker daran interessiert, daß auch auf Zypern endlich Ruhe einkehrt, denn davon hängt eine weitere Verbesserung der Beziehungen zu Griechenland (und damit zur EG) ab. Nach einer Stunde des Wartens der Journalisten in gleißender Sonne ist „das Ereignis“ im Kasten: Vassiliou und Denktasch schütteln sich minutenlang die Hände, der UN-Vertreter Oscar Camilliou steht lächelnd daneben. „Sehr gute Gespräche“, meint Denktasch. „Wir hoffen, hier beginnt ein Dialog, der zur Lösung aller Aspekte des Zypern-Problems führen wird“, so Camilliou. Daß sich neben freundlichen Gesten tatsächlich etwas geändert hat, zeigt die schriftliche Erklärung Denktaschs: „Laßt uns Zypern zu einem Land zweier Völker machen, die zwar Unterschiede in Religion, Sprache, nationaler Identität und Kultur haben, die aber doch dieselbe Loyalität zu Zypern verbindet. Laßt uns für einen endgültigen Frieden arbeiten.“ Erstaunliches für einen Mann, der noch vor fünf Jahren einen eigenen Staat auf der Insel ausrief.

Die Präsidenten entschwinden in ihren Karossen. Die Suche nach dem Frieden für Zypern hat begonnen. Heute gehen die Verhandlungen weiter, und von da an möglicherweise jede Woche.

Auf dem Rückweg aus dem Niemandsland in die Republik Zypern findet keine einzige Kontrolle mehr statt. Ein gutes Omen?