Bleierne Zeit beenden

■ Begnadigung als politisches Signal

Die öffentliche Diskussion um die mögliche Begnadigung der beiden Ex-RAF-Mitglieder Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock zeigt, oberflächlich gesehen, daß die politische Welt noch in altbekannter Ordnung ist. Auf der einen Seite die politischen Betonköpfe von rechts, ob sie nun Strauß heißen oder Rebmann, und auf der anderen Seite Grüne, linksliberale FDPler, Sozialdemokraten und ein schon seit längerem über die Begnadigung nachdenkender Bundespräsident. Vorsicht! Dieses Bild trügt. Die öffentliche Aufgeregtheit über Weizsäckers Prüfung der beiden Gnadengesuche weist noch auf etwas anderes hin: es gibt durchaus auch bei Konservativen und weit über das Bundespräsidialamt hinaus eine neue Nachdenklichkeit über Möglichkeiten eines Dialogs, über Gnade.

Wenn sich jetzt zwei Angehörige von Opfern der RAF zu der einmal ausgebrochenen Debatte zu Wort melden, dann ist das gut so. Auch das gehört zur Aufarbeitung der bleiernen Zeit. Man darf nicht erwarten, daß sich alle so äußern wie Hilde von Braunmühl oder die Braunmühl-Brüder. Fraglich bleibt jedoch, welches Gewicht diesen Äußerungen bei der Entscheidungsfindung des Präsidenten beigemessen wird, auch in der öffentlichen Diskussion.

Weizsäcker hat betont, er werde sich nicht beeinflußen lassen. Hoffentlich hält er das durch. Die mögliche Begnadigung der beiden Ex-RAFler ist ein politischer, zur symbolischen Geste aufgeladener Akt. Weizsäcker muß nach einer anderen Logik handeln als die Angehörigen. Die Versuche von Politikern, jetzt aus den öffentlichen Stellungnahmen von Angehörigen jeweils ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen, dürfen ihn nicht irritieren. Denn an seiner Entscheidung wird sich schließlich zeigen, ob es einen politischen Weg geben kann, die bleierne Zeit zu beenden. Der Bundespräsident würde dafür auch die Unterstützung von Konservativen erhalten. Es ist bekannt, daß sich etwa Peter Lorenz schon vor Jahren für die Freilassung eines seiner Entführer eingesetzt hat. Der Sohn Hanns Martin Schleyers, Staatssekretär in Rheinland-Pfalz, wird sicherlich mitdiskutiert haben über Klaus Jünschkes allerdings viel zu späte – Begnadigung. Manfred Grashofs Begnadigung in Rheinland Pfalz steht auch noch aus. Es würde der politischen Bedeutung der Aufarbeitung dieser bundesdeutschen Geschichte nicht gerecht werden, wenn man jetzt kleinkariert darüber streitet, ob Weizsäcker zu früh begnadigen will. Schließlich muß man all denen, die die Gnade verrechtlichen und Mörder frühestens nach zwölf oder 15 Jahren begnadigen wollen, entgegenhalten, daß es mit diesen jetzt so betonten Rechtsprinzipien in den ersten 30 Jahren dieser Republik bei der juristischen Bewältigung der Nazi-Verbrechen nicht weit her gewesen ist.

Max Thomas Mehr