„Tote bezahlen nichts“

■ Franz Xaver Kroetz als 'Welt'-Kolumnist in Seoul

Seoul (taz) - Gestandene Journalisten kann nichts mehr erschüttern. Sie haben alles erlebt, die Korruption des Gewerbes, die Scheckbücher. Daß potentielle Medaillengewinner wie Michael Kolbo oder Steffi Graf exklusiv für 'Bild‘ auspacken, gilt fast schon als normal.

Einer immerhin hat es geschafft, beim Auftauchen im „Main Press Center“ für Verwunderung zu sorgen. Schließlich war der neue Kollege Franz Xaver Kroetz bis 1980 acht Jahre lang DKP-Mitglied, ehe er zum Klatschreporter Baby Schimmerlos wurde; nun schreibt er täglich aus Seoul für die 'Welt‘. Eine Verwunderung, über die sich der Dramatiker wundert. „Für die 'Zeit‘ kann jeder Depp schreiben, spannend wird's erst ab der 'Welt'“, findet Kroetz.

Nichts ist mehr, wie es war, „das Prinzip, die einen rein, die anderen unrein, ist Schmarrn.“ Kroetz als Feigenblatt? Ach, nimmermehr, Springers Erben wollen ihr Flaggschiff nicht länger subventionieren. Wie bei Gorbatschow, „der für meine Partei vier Jahre zu spät kam“, auch hier die Öffnung, denn „die alten Kämpfer kann man nicht aus den Gräbern scharren. Die Toten bezahlen nichts“.

Und so geht er durch Seoul, angesiedelt „zwischen den Grünen und der SPD“, und wirft den „schlampigen und schrägen Blick“ in das Geschehen „mit dem herrlichen Gefühl, zwischen allen Stühlen zu sitzen“.

Themen gibt es ja genug für einen „bayerischen Anarchisten im Sinne von Karl Valentin“, die IOC-Mitglieder beispielsweise, die hier „mit Freundin und Sekretärin Geld verprassen“. Darüber zu schreiben „ist doch eine echte Kampfaufgabe“. Die 'Welt‘ galt ja bisher als Springers Kampfblatt, und nun hält Kroetz mit „politisch beruhigtem Gewissen mein Fähnchen hoch“.

In seinem ersten Artikel war als erster Kampferfolg DDR ohne Gänsefüßchen geschrieben.

Herr Thömmes