Jugend gegen Rattenrennen

■ Bremer Gewerkschaftsoziologe auf der Spur einer neuen Jugendkultur / Buchtitel: „Nicht so wie unsere Eltern“ / Selbstverwirklichung wichtiger als Geld

Eine neue Kultur der Jungendlichen hat der Bremer Gewerkschaftssozialoge Rainer Zoll entdeckt. „Nicht so wie unsere Eltern“, heißt Reiner Zolls neuestes Buch, das in wenigen Wochen herauskommt. Gestern plauderte er mit JournalistInnen über einige Thesen.

Erwachsene Facharbeiter, aber auch angelernte, altgediente Kräfte, wollen mit ihrer Arbeit Geld verdienen. Aber sie identifizieren sich auch mit ihrem Job - je länger sie dauert, desto mehr. Broterwerb und Interesse an der Arbeit gehen bei dieser Generation noch zusammen. Bei jungen Leuten dagegen liegen Welten dazwischen. Sie starten ins Berufsleben meist mit einem Traum vom

kreativen oder sozialpflegeri schen Beruf. Etwa Goldschmiedin. Wenn sie sich in ihrer Arbeit wohl fühlen, sind sie auch bereit länger und für weniger Geld als üblich zu arbeiten. Aber vom Traumberuf bleibt fast immer nur der Traum. Die Masse der Jugendlichen landet in öden Jobs oder im ABM-arbeitslos-Wechselbad. Wenn sie am Fließband hängen bleiben, dann soll die Arbeitszeit kurz und der Lohn hoch sein. Die Selbstverwirklichung findet dann nach Feierabend statt.

Reiner Zoll, der Gewerkschaftsprofessor, gewann seine Thesen in intensiven Gesprächen mit ArbeiterInnen und Angestellten aus unterschiedlichen Bran

chen. Sie waren zwischen 20 und 25 Jahre alt. Auch drei MitarbeiterInnen alternativer, selbstorganisierter Betriebe waren darunter.

Das „kulturelle Modell“ der jungen Generation wird nicht nur im Verhältnis zur Arbeit sichtbar, sondern auch im alltäglichen Umgang. Zoll: „Die reden stundenlang; eine kommunikative Kultur“. Und zwar „offen und herrschaftsfrei“, also im allerbesten Sinne der Frankfurter Sozialogenschule. Was sie bei der Arbeit reize, sei oft nur der intensive Umgang mit den KollegInnen. Dort suchen die jungen Leute auch Solidarität, aber oft werden sie abgestoßen vom „rats race“, wie eine amerikanischer Soziolo

gen-Kollege von Zoll es nannte: dem alltäglichen Rattenrennen im Betrieb, der Konkurrenz jedes gegen jeden.

Wenn die Gewerkschaften dieser neuen Kultur Rechnung tragen wollten, müssen sie sich verändern, meint Reiner Zoll. Sonst würden sie „ein kleiner Versicherungsverein, stark in einigen Bereichen, gesellschaftlich von durchaus untergeordneter Bedeutung“. Mit IG Metallern aus Bremen und Hamburg hat Zoll seine Thesen von wenigen Tagen diskutiert. Das Echo war gemischt. „Wer Kinder in dem Alter hat, der hat den Zoll am ehesten verstanden“, berichtete ein Teilnehmer der taz.

mw