Ciao, bello: Eros Underberg

■ Wir empfehlen: mit zwei Packungen Wunderkerzen, einem italienischem Wimpel und einem Menschen, den man gern mal küßt, heute abend zu Signore Ramazzotti in die Stadthalle

Das ist ein rührendes Schauspiel. Platschsentimental und fein ironisch: Sobald das Licht ausgeht im Saal, fängt es um dich herum an zu kreischen, daß dir ganz mollig wird ums Herz. Und zwischen italienischen Winkefähnchen sind die Doof -geht-ins-Konzert-Feuerzeuge zum ersten Mal spaßig gefühlvoll. Irgendeiner hat bestimmt wieder „Eros Numero Uno“ auf seinen Wimpel gemalt. Das ist auch ziemlich albern.

Da steht er dann, auf einer einigermaßen unterhaltungsmusikmäßigen Bühnentreppe, damit auch die Kleinen ordentlich hingucken können: eine Mischung aus romantisiertem Landarbeiter, frischgeduschtem Liebesgott und Schmusedecken-Linus von den Peanuts. Der Edelschlabber-Anzug gerade richtig zu groß, lila Hemdchen über der Hose, und Ärmel genau so viel zu lang, daß man die Hände drin verstecken kann und beim Singen von den großen Gefühlen so sensibel und liebvertapst ausschaut wie ein Tanzbär.

Dazu nette kleine Pathos-Happen und emozione dopo emozione. Und alle, alle, alle um dich rum haben diesen weichen Glanz in den Augen, der auf genau solche Konzerte gehört. Und wenn Eros dann mit seinem Chormädel zu

„La Luce Buona Delle Stelle“ im Duett zärtelt, um mit genau der rechten Mischung aus Schmelz und Ironie an ihr herunter auf die Knie zu sinken, dann sind wir alle hin und weg, und alles wird gut.

Eros Ramazzotti hieße hierzulande Eros Underberg (Ramazzotti ist ein italienischer Kräuterschnaps). Aber nur wo Ramazzotti drauf steht, ist auch Italien drin: dolce vita, Sophia Loren, „Avanti, avanti“, ein Haufen piazza-Mythen und pasta und vino für mich und meinen Liebsten in restlos lauer Sommernacht. Ramazzotti -Platten sind damit das ideale Produkt für uns mitteleuropäische Graugesichter, Besitzer von Florenz-Foto -Kalendern und Karten für den nächsten Pasolini-Fellini -Antonioni-Film im Programmkino, immer auf dem Weg zum nächsten Billig-Italiener oder der gelateria um die Ecke und mit hingeträumter Sehnsucht nach Espresso, bellezza und Leidenschaft. Italiener kaufen Ramazzotti-Platten wahrscheinlich, weil sie italienischer sind als italienischer Alltag.

Eros macht einfach melodietrunkene „molto originale„ -canzoni. Ein New Roman Romantic, der gerne mal sein kleines Herz in die große Liebe, den Generationenkonflikt, Drogenkummer und die große Freiheit Nr. Ich-weiß-nicht -wieviel schüttet. Da macht er Lieder draus, die sind Sturm und Drang, pane-e-vino-schlicht und immer fein geradeaus gedacht. Ein niedlich brätschender Ärgerlicher-junger-Mann und hingefühltes Verliebtsein als irgenwie idyllischer Protest in einer kreuz-quer-zugedachten Welt. Italiens Mamas und Papas zeigen den kleinen Eros Ramazzottis nämlich das Herz als Ordnung der Dinge. Das macht sie rotzsicher und unverzagt und läßt sie lieber in Gefühlen denken als in politischen Kategorien.

Schlagersänger sei er aber nicht und auch kein produzentengegängeltes Schöngesicht. Das wird er seit der Zusammenarbeit mit Italiens Hitarbeitern Cassano (Musik) und Cogliati (Text) seit dem 84er Ramazzotti-Erfolg im San-Remo -Nachwuchswettbewerb wohl ständig gefragt. Schert sich aber auch nicht groß drum, was wir vergeistigten Nordlandbanausen jetzt von seiner mit „Liebe und Leidenschaft“ gemachten Herz -Kunst halten. Man bleibt sich vom ersten Augenblick

an entschlossen fremd, weil ohne gemeinsame Worte.

Da sitzt man mit diesem wunderbar gutaussehenden Jungrömer aus Cinecitta (das ist in Rom da, „wo die Straßenbahnen nicht mehr hinfahren“) inmitten einer Horde hochgradig alberner und kindsköpfig lärmender musicisti. Alles Menschen mit schwarzem Haar und schönen Namen. Sitzt da, während es draußen schön deutsch vom Himmel platscht, und führt eines dieser unsäglichen Dolmetscher-Interviews, wo sprachkundige Menschen vom am Produkt beteiligten Plattenfirmen nie einfach wörtlich übersetzen, sondern dir ständig erklären, was der Künstler sonst noch alles gemeint hat und dazu sehr viel merh Worte machen, als Herr Ramazzotti selbst zuvor in den Recorder gebrätzscht hat. Italiens jugendschönster canzoni-Star (für französische Teenies immerhin viertberühmtester Italiener nach da Vinci, Michelangelo und Verdi) sitz dazu anrührend sorglos, ißt hastig Eis mit Waldbeeren und spricht natürlich kein deutsch. Englisch kann er auch nicht. Macht aber ein paar prachtvolle Grimassen und Comic-Sprechblasen für mich. Und zum Schluß kriegt man einen Handkuß, gerade so dick aufgetragen, daß die Inszenierung noch sichtbar bleibt.

Ein kompaktes Stück bell'italia unter kurzem Kraushaar, der „Jeder macht das, was er macht, weil er sich ausdrücken will“ in den Recorder sinniert und mit eben dieser Theorie mehrere Millionen Stück Platten absetzt. Allein „Nuovi Eroi“ ging weltweilt herzige 1,2 millionenmal über den Ladentisch. Die begeisterte Plattenfirma überreichte 8 Gold-und 7 Platinplatten für den bestimmt ganz wunderbaren Umsatz vinylgepreßter Italo-Mythen.

Herr Ramazzotti kommt heute in die Stadthalle. Zum „musicae„-Konzert kauft man sich am besten ein Kleidungsstück von putzig unbedachter Eleganz, zwei Packungen Wunderkerzen und einen italienischen Wimpel und plumpst ganz tief hinein in die schön vertrackten Melodien. Viel rauhe Brätschstimme und die Musik stört auch nicht weiter. Und im Spätherbst eine Woche Firenze oder Roma oder Milano. Ach ja, so lebe Italien.

Petra Höfer