„Unsere Kinder sind keine Versuchskarnickel“

■ Eltern sind empört, daß die Sanierung der mit Insektengift verseuchten Lenau-Grundschule in Kreuzberg 61 seit Wochen verschleppt wird / Kritik an Behördendschungel / Viele Verwaltungen schieben sich die Verantwortung gegenseitig zu / 60 Kinder sind erkrankt

„Mein Sohn ist letzte Woche auch verdroschen worden“, sagt der Mieterberater aus SO 36. Sein kleiner Felix geht in die Lenau-Grundschule, wo seit Schulbeginn der Notstand herrscht: Nach einer großangelegten Vergiftungsaktion gegen Küchenschaben vor 13 Wochen, wo kiloweise sieben verschiedene Gifte gesprüht wurden, klagen LehrerInnen, SchülerInnen und Putzfrauen über Kopfschmerzen, Übelkeit und Hautausschläge. 60 Kinder sind krank. Der ganze dritte Stock der Schule ist geschlossen, der Ersatzunterricht findet im Keller, in den Musikräumen oder der Mensa statt. Nicht nur das Lernniveau der Grundschule ist gefährdet, die weit über die Grenzen von Kreuzberg 61 einen guten Ruf genießt, die Kinder sind auch aggressiv und lustlos geworden. „Wenn das so weitergeht, melde ich mein Kind gleich auf der Rossegger -Grundschule an“, empört sich eine Mutter auf einer Elternversammlung am Mittwoch abend. Daß der Kleine auf die „Prolli„-Schule an der Bergmannstraße ausweichen muß, deren Ausländeranteil mit ca. 66 Prozent doppelt so hoch ist wie an der Lenau, kann durchaus passieren. Denn bis jetzt werden Eltern und Lehrer von den Ämtern nur hingehalten.

So wählte die Elternversammlung den kurzen Dienstweg und zog ins Rathaus zur Kreuzberger BVV - gerade noch rechtzeitig, um noch drei PolitikerInnen abzufangen. „Ich dachte schon, die hören nie auf zu diskutieren“, stöhnte der tatengewohnte Mieterberater. Statt einer sofortigen Zusage der geforderten Totalsanierung des dritten Stockes erhielt die Elternschar Einblick in die Zwänge der Realpolitik: Hatte vorher Schulrat Först mitgeteilt, Schulstadtrat Engelmann (CDU) würde sofort sanieren, wenn er nur die Erlaubnis des Gesundheitsamtes hätte, so erklärte Dathe (AL), sichtlich verlegen, sie müsse erst die Finanzierung auf dem Amtswege sichern: „Sonst darf ich die 36.000 bis 200.000 aus eigener Tasche bezahlen!“. Mitschuld habe im übrigen das Bundesgesundheitsamt. Das sei nicht schnell genug mit einem versprochenen Test, bei dem eigens gezüchtete Fliegen sterben, wenn Gift in der Luft ist. Nicht nur das: Ein mißtrauischer Vater entdeckte, der gleiche Professor Hoffmann, der jetzt testen soll, hat diese Tests schon 1986 im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht. „Unsere Kinder sind keine Versuchskarnickel, um Testreihen zu vervollständigen“, protestierten die Eltern. Da tat sich ein neues Hindernis auf: Keine ad-hoc-Entscheidung ohne Beratung durch die BVV, klagte AL-Vertreter Jordan unter den Buh -Rufen der Anwesenden ein, während SPD-Vertreter Borchardt, taktisch geschickter, die Schuld auf den nicht anwesenden Schulstadtrat Engelmann schob, der niemanden richtig informiert habe. Borchardt bot zur Besänftigung eine baldige Schulausschußsitzung an. Die Sympathiekurve kriegte auch Dirk Jordan wieder, als er die Verantwortung auf Schulsenatorin Laurien schob. Die könne man, begeisterte er die Gemüter, am nächsten Morgen in der Hans-Sachs-Schule in der Gneisenaustraße antreffen. Einigermaßen beruhigt war die Versammlung, als Brunhild Dathe, zur Zeit auch für das Bauamt zuständig, ankündigte, das Hochbauamt sei bereits angewiesen, die Sanierung der Decken zu prüfen. Nur der Mieterberater brach zusammen. „Dem Hochbauamt“, meinte er, „sitzen wir seit einem Jahr im Nacken, eine ausgebrannte Wohnung in der Manteuffelstraße 7 zu reparieren - ohne Erfolg.

esch