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Klapperäffchen

Koreanische Claquere wedeln „Deutsland“ zum Hockeysieg  ■  FLIPS & FLOPS

Es dauert eine ganze Weile, bis wir sie überhaupt wahrnehmen: der Anblick von Schirmen, die vor den Sonnenstrahlen schützen sollen, ist in Seoul nicht ungewöhnlich. Erst nachdem die bunten Dächer sich im Takt hin und her bewegen, dabei die absonderlichsten Tänze vollführen, wird klar, daß dies kein Zufall sein kann. Die Schirme bekommen Konkurrenz, auf der anderen Seite des Songnam-Stadions fliegen gelbe und lila Staubwedel durch die Luft, hüpfen auf und ab. Dahinter schmettert eine Blaskapelle los, von links antwortet ein Fanfarencorps. Drunten, auf dem Kunstrasen, kämpfen England und die BRD um olympisches Metall, bis auf eine Handvoll Zuschauer alleingelassen im großen, für 24.000 Zuschauern vorgesehenen Oval.

Es war ja abzusehen, daß die meisten der 23 olympischen Sportarten in Korea niemanden würden locken können; die Organisatoren haben vorgesorgt. Unter den Schirmen hängt ein Transparent, „DEUTSLAND/ DEUTSLAND“, und die farbenprächtige Putzkolonne von gegenüber grüßt mit „WELCOME U.K. HOCKEY TEAM“.

Die Deutsland-Freunde sehen jetzt aus wie Klapperäffchen, die man aufziehen kann; zwei Fahnen schwingen den Rhythmus vor, Schirme klappen auf und zu, werden weggelegt, gegen goldene und silbrige Lamettabüschel getauscht, die kreiselnd durch die Luft wirbeln. Kein Laut dringt herüber zur Tribüne, auch nicht von den U.K.-Supportern, die in ihren weißen Hosen und roten Hemden aussehen wie Funkenmariechen beim Karneval. Sie ziehen sich Handschuhe über in Rot und Gelb, wackeln damit herum, als machten sie Frühsport.

Mit dem Spielverlauf hat all dies nichts zu tun. Die Gruppen absolvieren ihr Programm nach einstudiertem Plan, die Gesichter der zumeist älteren Frauen sind mit ernstem Eifer auf die Vorturnerin gerichtet, ein Ghetto-Blaster diktiert den Schwung. Pause ist, wenn die Kassette gewechselt wird. Deutsland fängt an zu schunkeln, gleitet dann in sanftes Wogen, als würden Ähren von einem sanften Wind bewegt.

Drüben winken Fächer, schnellen in die Höhe, wippen in wildem Rausch; weiße Hüte wackeln dazu. Der Einsatz ist unfair, U.K ist mit 40 Einsatzkräften doppelt so stark besetzt wie Deutsland. Und U.K. führt mit 1:0. Den Aktionistinnen macht das wenig, sie verstehen weder englisch noch deuts, ihr Interesse gilt der Synchronisation. In den Schlußpfiff fällt das 2:1 für Deutsland, Wedel, Fächer, Lametta und Schirme werden verpackt, die bunten Figuren verschwinden so lautlos wie ihr Auftritt war.

Und die Spieler, hat es ihnen gefallen? - „Wieso, war da was?“

-thöm

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