: 4 Stunden „antiimperialistische Stadtrundfahrt“
Berliner Autonome Gruppen fahren Neugierige durch die Stadt / Was Berlin mit der kapitalistischen Weltwirtschaft zu tun hat ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Neben dem Bus, der am Mehringhof in Berlin-Kreuzberg parkt, stehen rund fünfzig Leute aus allen Altersschichten und warten auf den Beginn der „antiimperialistischen Stadtrundfahrt“. „Haben alle ihre Ausweise dabei?“ fragt die autonome Reiseleiterin. Der Hinweis ist berechtigt, denn das Anti-IWF-Sightseeing ist wiederholt von Polizeibeamten aufgehalten, die Busse sind durchsucht und die Personalien der Insassen festgestellt worden. Bei den über zwanzig Fahrten, die bis jetzt stattfanden, schritt die Polizei fünfmal ein - wir sind bei Sarotti in Neuköln fällig. „Wir wollen hier nicht die konkrete Politik von IWF und Weltbank und der kapitalistischen Weltwirtschaft im allgemeinen erklären, was wir darstellen wollen, ist die Poltik derjenigen, die konkret dahinter stehen, derjenigen, die in Berlin dafür stehen.“ Das ist die erklärte Absicht der „Rundfahrten“. Seit mehreren Wochen werden die von Autonomen Gruppen angeboten. Auf dem Programm stehen die Berliner Niederlassungen der verschiedenen multinationalen Konzerne, von Siemens über Philip Morris bis zu Daimler Benz. Die Busfahrten sind im Selbstverständnis der Veranstalter „Teil der Kampagne der Autonomen gegen IWF und Weltbank“. Besichtigt werden sollen unter anderem die Deutsche Bank, die Gebäude der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Inistituts für Entwicklungspolitik. Allesamt seien sie verstrickt in die Machenschaften von Internationalem Währungsfonds und Weltbank, und betreiben, so die Veranstalter, das weltweite Geschäft der Unterdrückung und der Ausbeutung der Länder in der „Peripherie“.
Vom Stadtteil Neukölln über Tempelhof fährt der Bus nach Schöneberg. Vorbei am Zigaretten-Multi Philip Morris, am Kaffee-Riesen Jacobs und der Nestle-Filiale „Sarotti“, dem Ort der Personenkontrolle. Im Süden von West-Berlin konzentriert sich - bedingt durch Subventionen, Umsatzsteuerpräferenz und Investitionszulagen - die bundesdeutschen Süßwaren-, Kaffee-, Kakao- und Tabakindustrie - allein in den Tabakfabriken arbeiten 4.000 ArbeiterInnen. Bei Philip Morris ist jeder Arbeitsplatz mit 200.000 Mark an öffentlichen Geldern subventioniert. Was in Berlin zu Konsumwaren hergestellt wird - so der Reader, der zur Stadtrundfahrt erhältlich ist -, kommt zumeist aus Ländern der sogenannten Dritten Welt. Kaffee, Kakao und Tabak werden auf den Plantagen derselben Agromultis angebaut, die in Berlin ihre Produktionsstätten unterhalten. Hier wie dort erhalten sie Subventionen in Millionenhöhe, mit dem feinen Unterschied, daß es in Afrika oder Südamerika die Weltbank ist, die dem Agrobusiness Hilfe zur Verfügung stellt. Mit Weltbankkrediten werden dort die BäuerInnen von ihrem Land vertrieben, mit Weltbankkrediten werden Flughäfen und Häfen angelegt, damit die Agrarrohstoffe in die Fabriken der Metropolen geschafft werden können. Die Fließbandproduktion in Neukölln ist ohne die Knochenarbeit der TabakarbeiterInnen auf den Plantagen von Philip Morris in der Türkei oder in Zimbabwe nicht denkbar. „Von den Hungeraufständen in Nordafrika über die Guerilla in Südamerika bis zum vielfältigen Widerstand in den Metropolen“ habe sich weltweit der Widerstand gegen die imperialistischen Staaten organisiert, erklären die autonomen „Reiseleiter“. Die Forderung nach einer Schuldenstreichung ist ihrer Meinung nach daher bei weitem nicht genug. „Der Widerstand muß radikal sein„; eine Schuldenstreichung hätte für die betroffenen Länder lediglich hinausschiebende Wirkung.
Weiter geht's: an der Deutschen Bank vorbei zur „industriellen Zentrale“ Daimler-Benz zur CDU-nahen Konrad -Adenauer-Stiftung: Sie unterstützt unter anderem Duartes Propagandea-Sender in El Salvador mit 1,6 Millionen Mark. Der Stuttgarter Platz ist das Berliner Zentrum für „Frauenhandel und Zwangsprositution“. Nach einem Referat über Sex-Tourismus und die entwürdigenden Lebensverhältnisse der zur Prostitution gezwungener Frauen führt der Weg in die „Siemensstadt“, vorbei am Internationalen Congreß Centrum (ICC), dem Schauplatz des kommenden Kongreß-Geschehens. Die Strommasten, die entlang der Autobahn das ICC mit Energie versorgen, sind einer besonderen Behandlung unterzogen worden. Die unteren Stützstreben sind in den letzten Wochen bis in fünf Meter Höhe mit Beton verkleidet und darüber mit Nato-Stacheldraht gesichert worden.
Beim nächsten Halt, am Frauenknast in Plötzensee, wird der Brief einer inhaftierten Frau verlesen. „Lebendig begraben in Sicherheitsstufe eins“, schreibt sie aus der „Plötze“. Das mit 117 Millionen Mark errichtete und für 330 Frauen konzipierte Gefängnis suche in Europa seinesgleichen. In das Konzept zum Bau der Anstalt, so die Redeleitung, sind „Erkenntnisse aus sensorischer Deprivation, der Gehirnwäsche und der Gruppendynamik eingeflossen“. Der Bus parkt vor dem Gefängniseingang. In die Mauer ist schaurig-idyllisch ein Springbrunnen eingebaut.
Nicht weit vom Frauenknast, die Rundfahrt ist mittlerweile im Norden der Stadt im Wedding angelangt, befindet sich die „Zentrale Sozialhilfestelle für Asylantragsteller“. Vier Stunden dauert die Fahrt nun schon. Nach den vielen Referaten und Erklärungen zeigen die TeilnehmerInnen deutliche Ermüdungserscheinungen. Weiter geht es dann über den Pharmakonzern Schering (Gen-Technik) zum „High-Tech Zentrum“ im Stadteil Wedding. Dann zurück zum Ausgangspunkt, dem Mehringhof in Kreuzberg: Vorbei an der letzten Station der „antiimperialistischen Stadrundfahrt“, dem Betsaal der rechtsradikalen Mun-Sekte in der Postdamer Straße. Ob auch der Betsaal bei der Polizei als „anschlagsrelevant“ gilt, war nicht in Erfahrung zu bringen.
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