Entwicklungsländer wollen zahlen

■ Schuldenstreichung für die Länder der Dritten Welt während der Berliner IWF-Tagung nicht auf der Tagesordnung

Lautstarke Forderungen nach Schuldenerlaß oder Schuldenstreichung, darauf verständigte sich die Gruppe der Dritte-Welt-Länder gestern vorab in Berlin, soll es bei der diesjährigen IWF-Tagung nicht geben. Statt dessen setzen die Länder der „Gruppe der 24“ auf stille Diplomatie und, ganz im Sinne der IWF-Zentrale, auf individuelle Lösungen. Auch eine Änderung der Stimmanteile (jedes Land eine) sei nicht in der Diskussion. Kontakte zur nicht institutionellen Opposition hat die Gruppe bislang auch nicht.

Wenn auch inzwischen Banker, Regierungsparteien der Industrieländer und auch die UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) laut über einen Teilschuldenerlaß nachdenken - die Vertreter der betroffenen Länder, die Mitglieder der „Gruppe der 24“ (G-24), die gestern ihre Tagung begannen, gehen lieber mit leisen Sohlen über das diplomatische Parkett der Berliner Weltwährungstagung. Aus Teilnehmerkreisen war vor der Sitzung zu vernehmen, man werde keine allgemeinen Forderungen nach einem Erlaß oder Teilerlaß aufstellen. Die Argumentation ist dabei dieselbe, mit der die Schaltzentralen von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Washington stets Forderungen nach allgemeineren Krisenlösungen ablehnen: Die Verhältnisse in den einzelnen Ländern seien zu unterschiedlich.

Dem Vernehmen nach hat man als Beratungsgrundlage für die gestrige Sitzung der Delegierten und das heutige Treffen der Minister auf das Kommunique zurückgegriffen, das die G-24 anläßlich der Interimstagung von IWF und Weltbank im April verabschiedet hatte. „Man kann nicht immer neue Elemente bringen, wenn man ernst genommen werden will“, hieß es dazu. In jenem Papier findet sich zum Thema Schuldenerlaß jedenfalls eine recht zahm gehaltene Passage: „Die Minister bekräftigten, daß eine Lösung der Schulden der ärmsten Länder eine Streichung derjenigen Schulden beinhalten sollte, die bei Regierungen der Industriestaaten aufgenommen wurden.“ Die Forderung ist seit langem Praxis etwa der Bundesregierung. Regierungen anderer westlicher Länder vergeben ihre Kapitalhilfe an die ärmsten Länder ohnedies nur in Form von Schenkungen.

Auf der anderen Seite nimmt die G-24 in Anspruch, „Vorreiterfunktionen“ in Sachen Schuldennachlaß ausgeübt zu haben. Unter „Schuldennachlaß“ wird dabei allerdings auch die Umwandlung von Schulden in Direktkapital und anderweitige marktwirtschaftliche Lösungsstränge angesehen. Nach Ansicht der G-24 sollten zum Beispiel auch die Schuldnerländer in den Genuß der horrenden Abschläge kommen, die beim Handel uneinbringlicher Schuldentitel unter den Banken wahre Diskountpreise aufkommen lassen. Wenn beispielsweise eine amerikanische Bank einem anderen Institut Peru-Kredittitel aufgrund der extremen Unsicherheit ihrer Rückzahlung für zehn Cent pro Dollar Nennwert verkauft, sollte danach gegenüber Peru nicht der komplette Dollarschuld-Betrag aufrechterhalten werden. Eine Reihe von Ländern würde auch gerne ihre Schulden in Papiere mit langfristigen Sicherheiten umwandeln. Brasilien hatte mit solchem Vorschlag weitgehend die Debatten auf der letztjährigen Weltwährungstagung bestimmt. Dabei werden kurz - und mittelfristige Bankenkredite zum Teil über mehr als 20 Jahre gestreckt und mit Sicherheiten wie Rohstoffen oder Unternehmen versehen, die im Falle der Zahlungsunfähigkeit in den Besitz der Gläubiger übergingen.

Als Herzstücke des Forderungskatalogs, der sich für die diesjährigen Beratungen mit den Industrieländern im Interimskomitee des IWF und im gemeinsamen Entwicklungsausschuß von Währungsfonds und Weltbank abzeichnet, wird stets auf die Errichtung eines Ausschusses und eine Konferenz verwiesen, die beide der Frage nachgehen sollen, wie das Wachstum in den 90er Jahren finanziert werden könne. Daneben wird auf die wiederholt aufgestellte Forderung verwiesen, eine neue Arbeitsgruppe einzurichten, die die Vorschläge der „G-10“ (siehe Glossar in dieser Ausgabe) und der G-24 zur Reform und Erneuerung des Weltwährungssystems prüfen soll.

Ein Thema, das in den letzten Monaten vor allem auch aus kirchlichen Kreisen der Industrieländer immer stärker an die Öffentlichkeit gebracht wurde, wird, wie es heißt, in Berlin nicht auf der Tagesordnung stehen: der Teil der Schulden, die als „illegitim“ angesehen werden können. Darunter werden solche Kredite verstanden, die zum Beispiel nie zur Auszahlung kamen, sondern lediglich Scheintransaktionen zur Bereicherung von Eliten in Nord und Süd darstellten. Bei diesem Thema ist man bei den Regierungen der G-24 offenbar zu größerer Vorsicht geneigt. In dem April-Kommunique steht zwar die Forderung, der Anteil der Quoten der Entwicklungsländer beim IWF sollte erhöht werden. An ein Modell, das - wie es bei der UNO praktiziert wird - jedem Mitgliedland den gleichen Stimmanteil sichert, habe man indes „nie gedacht“.

Zu den Oppositionsgruppen, die sich zur Zeit in Berlin um Solidarität mit den Bevölkerungen der G-24-Länder bemühen, hat man zunächst eher Berührungsängste. „Da kenne ich mich nicht aus“, ist aus Delegationskreisen zu hören. Die G-24 habe aber selbstverständlich auch einen kritischen Anspruch gegenüber IWF und Weltbank.

Ulli Kulke