Konzertierte Vertuschung der Giftgas-Einsätze

Gespräch mit Hoshiar Zebari von der Kurdisch-Demokratischen Partei (KDP) / Im Zuge der jüngsten irakischen Angriffe verlor die KDP Massoud Barzanis ihre befreiten Gebiete im Norden des Landes / Den kurdischen Flüchtlingen droht ein Leben in Lagern auf Jahre hinaus  ■  Von J. Gottschlich/B.Seel

Berlin (taz) - „Es gibt eine Verschwörung des Schweigens, nicht nur seitens des Irak und der Türkei, sondern auch seitens einiger westlicher Staaten, die ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgen und daher den humanitären Aspekt herunterspielen.“ Mit Bitterkeit konstatiert Hoshiar Zebari, Mitglied des Zentralkomitees der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und zuständig für internationale Beziehungen, die Bemühungen des Irak und der Türkei, Berichte über Giftgaseinsätze gegen 65 kurdische Dörfer im Norden des Irak als unglaubwürdig hinzustellen. „Wegen des intensiven Drucks von Saudi-Arabien und der arabischen Liga unterdrückt die Türkei Beweise über den Einsatz chemischer Waffen. Der Irak traut sich nicht, eine Untersuchungskommission der UNO in die betroffenen Gebiete reisen zu lassen. Das ist in unseren Augen ein Schuldeingeständnis. Wir sind sicher, daß chemische Waffen eingesetzt wurden. Gerade habe ich wieder eine Liste mit den Namen von 21 Schwerverletzten erhalten. Es handelt sich um eine einzige Vertuschungsaktion.“

Der massive Gaseinsatz Ende August gegen die kurdische Zivilberölkerung hat die KDP überrascht. Auch wenn sie nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg mit einem Angriff auf ihre befreiten Gebiete gerechnet hatte - ähnlich wie im Jahre 1975, als Iran und Irak den Vertrag von Algier unterzeichnet und ihre Grenzstreitigkeiten vorrübergehend beigelegt hatten. Zebari bestreitet nicht, daß die KDP ihre ländlichen Regionen im Zuge der jüngsten irakischen Offensive verloren hat. 238 Dörfer im Grenzgebiet zur Türkei wurden innerhalb von zwei Wochen zerstört. Doch laut Zebari gibt es im Innern des Landes nach wie vor Peschmergas, kurdische Kämpfer, die den bewaffneten Kampf fortsetzen werden, bis das Ziel, Autonomie für Kurdistan in einem demokratischen Irak, erreicht ist. „Wir haben unsere Strategie umgestellt und werden künftig frontale Angriffe vermeiden. Wir werden den bewaffneten Kampf auf begrenzter Ebene mit kleinen Einheiten von zehn oder fünfzehn Peschmergas fortsetzen. Zum einen wollen wir dadurch weitere Giftgaseinsätze vermeiden, zum anderen sind die ländlichen Gebiete entvölkert und können keine größere Zahl von Guerillas mehr versorgen. Statt dessen wollen wir unsere Aktivitäten auf die Städte konzentrieren.“ Anzunehmen ist, daß bewaffnete Nadelstich -Aktionen vermutlich auch das Ziel verfolgen, die Kurdenfrage auf internationaler Ebene am Kochen zu halten gerade angesichts des Flüchtlingsproblems in der Türkei. Die KDP empfiehlt ihren ins nördliche Nachbarland geflüchteten Anhängern in der jetzigen Situation nicht, in den Irak zurückzukehren. „Wir haben nur eine Chance: Die Flüchtlinge müssen in der Türkei angesiedelt werden, aber nicht den türkischen Behörden, sondern dem Schutz der UNO unterstellt werden. Gleichzeitig müssen wir versuchen, so viel internationale Hilfe wie möglich zu mobilisieren. Vor allem die Mitglieder des Weltsicherheitsrats müssen jetzt beweisen, wie ernst sie ihre Resolution nehmen, in der sie sofortige und effektive Maßnahmen gegen jedes Land beschlossen haben, das chemische Waffen einsetzt.“

Die internationale Hilfe, die die KDP einklagt, läßt jedoch auf sich warten. Auch die Türkei hat auf einen entsprechenden Appell, entweder Kurden aufzunehmen oder etwa 540 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, kaum Resonanz erhalten. Lediglich die niederländische Regierung hat sich bereit erklärt, sechzig der 120.000 Kurden aufzunehmen. Den Flüchtlingen droht eine ungewisse Zukunft, ein Leben in Lagern auf Jahre hinaus. Doch anders als beispielsweise Afghanen oder Palästinenser, haben sie bislang keinen international anerkannten Flüchtlingsstatus.