Die Bedeutungen der Symbole

■ In der Deutschen Bank wollte der Komponist Mathias Spahlinger nicht über Adorno referieren / Wir drucken seine Erklärung

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Anfrage, ob ich zu dem Symposion über den Komponisten Adorno etwas beitragen möchte, habe ich mit großer Freude zugestimmt, denn die Beschäftigung mit Adornos Denken war für meine Arbeit initial und ist ihr zentral geblieben, und die Anregung, ja Aufforderung, die von ihm ausgeht, öffentlich über das Verhältnis der Musik zur Theorie und besonders zur Politik nachzudenken, über die Mißbrauchbarkeit der Kunst zu Propaganda und Repräsentation, zur Imagepflege, Verschleierung dessen, wogegen sie steht, habe ich, erst recht seit Adornos Kompositionen zugänglich sind, als dringlich und für meine eigenen Bemühungen motivierend empfunden.

Wegen der unerwartet ermutigenden Resonanz, die die Ankündigung des Symposions gefunden hat, sah sich der Veranstalter genötigt, einen größeren Raum zu finden; daß seine Entscheidung auf den Saal der Deutschen Bank fiel, hat mich tief erschreckt und spontan bewogen, meine Zusage zurückzunehmen.

Mit einer Bilanzsumme, die zwischen 1970 und 1985 um 618 Prozent gestiegen ist, sich mithin in der Größenordnung des Bundesetats bewegt, mit einem Auslandsgeschäftsvolumen, das seit Mitte der 70er Jahre sogar sechsmal schneller gewachsen ist als das inländische - die Geschäftsbanken allgemein haben die Regierungen, die Träger der öffentlichen Entwicklungshilfe, als Hauptgläubiger abgelöst. Inzwischen fließt mehr Geld, als die Hungernden erhalten, in die Erste Welt zurück; die tatsächliche Höhe des Kreditvolumens entzieht sich durch das Bankgeheimnis, anders als in den USA, öffentlicher Kontrolle - wie überhaupt: Mit solcher Machtfülle ausgestattet, betreibt die Deutsche Bank eine Politik gegenüber undemokratischen Regierungen, in Rüstungsproduktion und -export, in der Atomwirtschaft, in der Automobilindustrie, in der Medienbranche, in der Verflechtung mit Staat und Verbänden, die so unkontrolliert und unkontrollierbar scheint, wie sie ist, die, wenn wir eine Wahl hätten, wohl kaum eine Mehrheit fände.

Noch viel schwerwiegender für meine Entscheidung, für die ich Sie um Verständnis bitte, waren historische Fakten, die mit dem Anlaß des Symposions, dem 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ (wie die bis heute wirksame Sprachregelung der Nazis lautete) in unmittelbarem Zusammenhang stehen, veröffentlichte und verdrängte Fakten, folgenlos allgemein bekannt, angesichts derer mir die Verlegung in diesen Saal überaus symptomatisch vorkommen will, für das Verhältnis der Kunst zur Politik ebenso, wie für das zur Vergangenheit, für deren gewaltsame Bewältigung, das Ineins von entstellendem Heraufbeschwören (nach dem unsäglichen Bitburger Refrain, „Wir sind allzumal Opfer und Schuldige des geschichtlichen Verhängnisses“) und hartnäckigster Verdrängung (die die Täter dazu bewegt, den Opfern zu vergeben, daß sie an ihrer Stelle nicht anders gehandelt haben würden), symptomatisch für die Bewußtlosigket und Indolenz, gegen die Adorno sein Leben lang gekämpft hat, jenen „Mangel an Affekt gegenüber dem Ernstesten; nicht selten auch einfach Verdrängung des Gewußten und halb Gewußten“ (Adorno, „Aufarbeitung der Vergangenheit“).

Der Machtapparat der Nazis, der größte in der Geschichte, war aus Steuermitteln allein nicht finanzierbar; die Deutsche Bank war ab 1933 an der von Krupp und anderen Großindustriellen ins Leben gerufenen „Adolf-Hitler-Spende“ beteiligt, ihre jährlichen Zuwendungen steigerte sie bis auf 900.000RM plus 75.000RM für den „Himmler-Freundeskreis“.

Die „financial investigation section“ der Finanzabteilung der amerikanischen Militärregierung für Deutschland hat ab Mai 1945 gegen die Deutsche Bank ermittelt: „Ungeachtet der Beteuerungen ihrer leitenden Mitarbeiter, sie hätten verzweifelt um die Einhaltung eines 'konservativen‘ Kurses gerungen, deutet das gesamte Beweismaterial darauf hin, daß die Deutsche Bank in Wirklichkeit den Weg der uneingeschränkten Zusammenarbeit wählte. Die Deutsche Bank war Exponent eines starken deutschen Banksystems, jener Art von System, das die Nazis brauchten, um ebenso schnell wie reibungslos ein Kriegspotential aufzubauen.“ ...

Dem Untersuchungsbericht ist die Empfehlung vorangestellt, daß,

„1. die Deutsche Bank liquidiert wird,

2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden,

3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands ausgeschlossen werden“.

Die Konsequenzen, die aus dieser Empfehlung gezogen wurden, sind bekannt: Sie hat Adorno gemeint, als er 1959 schrieb: „Ich möchte nicht auf die Frage neonazistischer Organisationen eingehen. Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher, denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie. (Unterwanderung bezeichnet ein objektives; nur darum machen zwielichtige Figuren ihr Comeback in Machtpositionen, weil die Verhältnisse sie begünstigen)“ (Adorno, ebenda).

Mit dem Pogrom vom November 1938 erreichte die sogenannte „Arisierung“ jüdischen Eigentums ihren Höhepunkt. (Alle folgenden Zitate, wenn nicht anders angegeben, aus dem genannten Ermittlungsbericht (Omgus office of military government for Germany, United States, finance division financial investigation section)): „Für die Deutsche Bank gab es drei Gründe, sich aktiv am 'Arisierungsprogramm‘ zu beteiligen: durch Loyalitätsdemonstration gegenüber dem Naziprogramm gewann sie einen politischen Vorteil; sie sicherte sich sofort spürbare Extraprofite“, indem sie von Eigentumsübertragungen weit unter dem Wert und unter den Bedingungen des Nazi-Rechts, die der Nötigung gleichzusetzen sind, auf eigene Rechnung den direkten Nutzen zog (so brachte sie unter anderem einige Privatbanken an sich) oder, indem sie die Auswahl und Abschätzung von Objekten für die 'Arisierung‘ sowie die Suche von Partnern betrieb und den Neuerwerbern Kredite erteilte; und „sie sicherte sich Kundeneinlagen, die sie womöglich verloren hätte, wenn sie an der 'Arisierung‘ nicht teilgenommen hätte“.

Als bloßes Detail, wenn auch besonders ekelhaftes, nimmt sich daneben aus, daß die Deutsche Bank auch aus Enteignungs - und Konfiskationsmaßnahmen des Reiches Nutzen zog, daß die nach dem 9.11.38 erhobene Sondersteuer, mit der die Nazis in doppelter Perfidie vorschützten, die Verwüstungen des Pogroms von den Juden selbst bezahlen zu lassen, über das sogenannte „Wiedergutmachungskonto für die Schäden Berlins“ bei ihr eingezogen wurde. (...)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts solcher Fakten mag Ihnen mein Schritt, mich einem Auftreten unter dem Emblem der Deutschen Bank zu verweigern, harmlos und hilflos, bloß symbolisch erscheinen; aber verstehen Sie bitte, daß ich mir, woran die Künstler arbeiten, nicht ausreden lassen möchte: die Bedeutungen der Symbole. Sie lassen sich nicht diktieren und machen Hoffnung auf die Ohnmacht der Mächtigen, auf die Macht der Aufklärung und auf Veränderung:

„Daß der Faschismus nachlebt; daß die vielzitierte Aufarbeitung der Vergangenheit bis heute nicht gelang und zu ihrem Zerrbild, dem leeren und kalten Vergessen, ausartete, rührt daher, daß die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten“ (Adorno, ebenda).

Ich wünsche uns eine fruchtbare, einsichtsreiche Arbeit mit der Philosophie und der Musik Theodor W.Adornos und grüße Sie freundlich,

Ihr

Mathias Spahlinger