Porträt des Mörders als Junger Mann

■ Adolf Eichmann eröffnete die 60er-Retro. Nord III, Sa,20.15h

Eine neue Filmreihe über die „Unruhigen Zeiten“ der Sechziger Jahre wird uns die nächsten zwölf Wochen jeden Samstag für eineinhalb Stunden an die Nordkette fesseln. In den genau und geduldig abgefilmten Gesichtern der Überlebenden und nun alten Zeitzeugen kann man studieren, was Geschichte Menschen antut. Zwar erreichte diese erste Folge über den Eichmannprozeß 1960/61 bei weitem nicht die Intensität der bekannten Bücher von Mulisch oder H. Ahrendt oder der veröffentlichten Verhörprotokolle, denn die Interviewten offenbarten eine seltsame Fremdheit zu ihren Erlebnissen: Sie mußten sie schon so oft erzählen, daß sich die sprachliche Form längst vor ihre inneren Bilder geschoben hat - eine besondere Art der Verdrängung.

Neben den bekannten Eichmann, der bis zur Schizophrenie leugnet, an irgendetwas schuld zu sein, tritt in einigen frappierenden Details der überangepaßte Normalbürger sowie Eichmann, der Macho. Einige Fotos zeigen ihn kurz nach der Beförderung zum SS-Hauptmann auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Ein schöner Mann! Seidige lange Wimpern, ein ironischer kleiner Mund, Lachfältchen um die intelligenten Augen. Man sieht, daß der ewige Versager, der langjährig Arbeitsuchende, der glücklose Benzinvertreter endlich zu sich gefunden hat und die Anerkennung im Beruf, das Lob der Vorgesetzten, die Freude an der hohen Verantwortung und der brillanten Effizienz seines kleinen Apparates ihm zu tiefer Selbstbefriedigung verholfen haben. Neben dem freundlichen Gesicht übersieht man den Totenkopf an der schmucken Uniform. Ein Mann, Mitte dreißig , mit glänzenden Aussichten. Erfolgreich, sportlich, cool. Ein Yuppie.

Seine Familie versuchte, ihn zu retten; Frau und Schwager wollten ihn für tot erklären lassen, gefallen am 8.Mai 45. Eichmann war ein Frauenheld. Ende 44 ahnte er wohl, daß er irgendwann gesucht würde und ließ alle Fotos von sich vernichten. Der israelische Geheimdienst wußte also nicht, wie Eichmann aussah. Sie schickten einen „Romeo“ durch Deutschland, der Eichmanns Freundinnen beschlief, bis er bei einer endlich ein Foto fand, nach dem der in Argentinien versteckte Schrebergärtner identifiziert werden konnte eine ziemliche Strafe fürs Fremdgehen.

Viel ist geschrieben worden über die „Banalität des Bösen“, über das Funktionieren der vielen gehorsamen kleinen Rädchen innerhalb der Mordmaschine, und diese Metapher soll bis heute alle diejenigen braven Bürokratenseelen freisprechen, die in ähnlichen Positionen funktionieren und ebenfalls glauben, sie wären unschuldig, nur weil sie sich um die Folgen ihres Tuns nicht kümmern. Das Bild ist falsch. Viele Details belegen das Wissen und den Fanatismus, mit dem der Schreibtischmörder das Böse betrieb. Beispiel: die Vernichtung der Fotos. Beispiel: Noch in den letzten Kriegsmonaten klaute er der Wehrmacht an der Ostfront Bahnwaggons, und sagte zu einem Untergebenen:„Ich weiß der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg gewinnen...“

Das Grauenhafte an der Person Eichmanns ist ja gerade, daß er genau das tut und mit den gleichen Mitteln, was Millionen „normale“ Arbeitnehmer auch jeden Tag tun: organisieren, planen, ausführen, ohne Rücksicht auf Schäden an Menschen oder Umwelt, nur um Karriere zu machen oder um ein größeres Auto fahren zu können. Der subjektive Schuldgrad Eichmanns ist tatsächlich nicht höher. Da gewinnt es fast mythische Qualität, das der Staat Israel sich nachträglich das Recht genommen hat, wenigstens mal einen kleinen Befehlsempfänger getötet zu haben, zur ewigen Warnung für alle Verwaltungsangestellten, die mit ihrem täglichen Funktionieren jedes beliebige System am laufen halten. Eichmanns Hinrichtung geschah nach selbstgesetztem, nachträglichem Recht, mithin ein klarer Fall von Terrorismus, von jedem Menschen auf der Welt gebilligt.

Später in Israel wurde der ungarische Jude Kastner verfolgt und angeklagt, weil er mit Eichmnann große Geschäfte gemacht hatte, statt ihn bei passender Gelegenheit und rechtzeitig umzulegen. Was wird die Geschichte in dreißig Jahren über uns sagen, die wir Zeugen der weltweiten Wirkung der IWF -Mörder-Organisation sind? fragt sich zentnerschwer unser

Dr. Seltsam