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■ Politisches Theater auch auf der plattdeutschen Ernst-Waldau-Bühne: konstruktuvistische Bauhaus-Kultur für aufgeklärte Arbeiter der zwanziger Jahre

Mit Zustimung des Chefredakteurs JüMü erscheint der folgende Text in konservativer Groß-und Kleinschreibung, da der Autor mit seinem Konzept sinnentstellende Formulierungen nicht akzeptieren wollte.

Im „Ernst-Waldau-Theater“ fiel zunächst auf, daß am Eingang statt einer Überprüfung der Eintrittsbilletts den BesucherInnen eine freundliche Begrüßung durch einige Herren mit „Kreissägen“ auf dem Kopf zuteil wurde. Auch das leicht angeschmuddelte Fünfziger-Jahre-Ambiente des Aufführungsortes und das junge Publikum bestimmten den äußeren Rahmen der beiden grundverschiedenen Hälften mit dem Theater der Klänge aus Düsseldorf.

Ein Zitat des Bauhausbühnen-Leiters Oskar Schlemmer stand für das Motto des heute in Gera lebenden 87jährigen Kurt Schmidt und lautete schon 1923: „Wir sind, wir wollen und wir schaffen!“ Damit ist im ersten Moment so ziemlich alles auf den Kopf gestellt, was Das mechanische Ballett an Eindrücken bot. Denn das wir war völlig zugedeckt von Kreisen und Quadraten, von Verwandlungen und Ableitungen dieser geometrischen Flächen in den Primärfarben. Diese ungleichmäßigen Figurinen versteckten die dahinter verborgenen Tänzer vollständig, so daß sich unweigerlich ein Eigenleben der verqueren Farb-und Formkonstellationen einstellte. Vor einem tiefschwarzen Prospekt tauchten die Angestrahlten erst teilweise, dann mit zuckenden Bewegungen sich ganz darstellend und begrüßend, Ehrfurcht und gar Zuneigung vermittelnd auf und verschwanden wieder. Jede einzelne Ebene, die von den unsichtbaren Tänzern mal kerzengerade, mal weit geschwungen durch den

Raum schwebte, folgte dabei gleichsam wie auf Knopfdruck dem minimalistischen Rhythmus einer Avantgarde-Musik, die der „musikalische Direktor“ Xanti Schawinski der Bauhauskapelle ebenso formal knapp beschrieb: sie vereinigte sich kunstgerecht in einem phantastisch-rhythmischen und durchdingenden lärm. revolverschüsse, klingeln und riesiege stimmgabeln ...jeder art von tonverändernden materialien umgemodelte klaviere ergänzten die musikalische ausrüstung.

So war es zuweilen durchaus angebracht, sich zu gegenwärtigen, daß es sich wirklich um ein Ballett handelte und nicht etwa um ein Stockpuppenspiel. Das ständige Begrüßen und Vorexerzieren aller möglichen Bewegungen ging hin bis zur skurilen Verschmelzung der zackigen Farbflächen, doch am Ende hörte es

auf, wie es begann: Mit fragilen Versuchen, Bild und Ton mechanisch zu vereinen.

Ganz anders dann der zweite Teil des Abends. Mit Laszlo Moholy-Nagys Die mechanische Exentrik wurden die ZuschauerInnen auf eine Erfahrungsreise geschickt, die heutige Bezüge auf bestimmende Merkmale der Bauhauskunst erkennen ließ. Was sich da auf der Bühne abspielte, erinnerte stark an ein Performance-Objekt der letzten documenta, die Kettenreaktion. Zur Stereo-Minimal -Elektronik-Musik vom Band, der Sirenengeheul und weitere Gräusche beigemischt waren, huschten wie von Geisterhand Pfeile, Rechtecke und Kreise durch den Raum. Per Filmprojektion und aufwendiger Drahttechnik entstanden geisterhafte Impressionen einer kinetischen Welt ohne Regeln und Ge

setzmäßigkeiten. Lamellenrollos senkten und hoben sich, schwarze Gitter bildeteten gefängnisgleiche Raumstrukturen und Filme erhöhten den multi-medialen Eindruck.

Zwischendurch ein Schock: Ein greller Blitz durchstach das Dunkel und eine Sofortbild-Kamera warf ihr Photo aus. Immer wieder erschienen graphische Gebilde, kreuzten ihre Wege und verschwanden im Nichts. Übelriechende Nebelschwaden zogen durch den Raum und gaben dann den Blick auf einen Clown frei. Eine Frau, die irre Robot-Bewegungen ausführte, beendete schließlich den bizarren Vortrag zu einer wahrhaft mechanischen Stahlmusik. Noch auf dem Heimweg klang es monoton in den Ohren:zwong, zwong, zwong, zwong, zwong, zwong, zwong, zwong, pling.

Jürgen Francke

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