Die SPD und die Zukunft des Fortschritts

■ Die Sozialdemokraten bemühten sich auf einer zweitägigen Perspektivtagung erfolgreich, grüne Positionen zu besetzen

Zur politischen Karriere des Oskar Lafontaine gehört es, die Grünen schlagen zu können, ohne sich mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Der Saarländer, eh davon überzeugt, daß mit den alten interessenpolitischen Konstellationen keine politischen Probleme mehr zu bewältigen sind, demonstrierte in der letzten Woche erfolgreich, was er damit meint. „Die Zukunft des Fortschritts“ war dabei das Thema. Im Rahmen eines zweitägigen Forums der Programmkommission der SPD versammelte der stellvertretende Parteivorsitzende Vetreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur in Saarbrücken. Demonstriert wurde vor allem die Lernfähigkeit innerhalb der SPD.

Der Diskussionsstand der Partei über Fragen der Ökologie und eines damit notwendig verknüpften anderen Fortschrittsbegriffs hat längst grünes Problem-Niveau erreicht, wenn nicht gar überholt. Der Abschied vom Wachstumsfetischismus gehört genauso dazu wie die Kritik am linearen, auf technische Innovation verkürzten Begriff von Fortschritt. Aber auch die Diskussion über die Zukunft der Arbeit hat längst alle grüne Programmatik aufgesogen.

Charakteristisch für den Diskussionsverlauf waren dann auch vor allem zwei unterschiedliche Politikkonzeptionen, die sich im sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Millieu gegenüberstehen. Lafontaine sprach in diesem Zusammenhang von einer „Instrumentendebatte“. Setzten die einen, vor allem Vertreter der Gewerkschaften aber auch die Frauen die Kieler Frauenministerin Gisela Börkh etwa plädierte für das schwedische Sozialstaatsmodell (!) - auf das traditionell sozialdemokratische Handlungsmuster, den Staat, so schimmerte bei anderen immer die stärkere Betonung des Individuums hervor und die Notwendigkeit, über den Diskurs zu normativen Veränderungen in der Gesellschaft zu gelangen. Erhard Eppler entwickelte dabei einen fast schon emphatischen Begriff von Öffentlichkeit, der im politischen Konzept der modernisierten SPD mehr Bedeutung zukommen soll. Denn „wer ernsthaft in dieser Gesellschaft etwas ändern will, der kann es nur im gesellschaftlichen Konsens tun“ (Prof. Fritz W. Scharpf). Wer so die Gesellschaft reformieren will, der braucht vor allem den „öffentlichen Diskurs“. Und der wurde bei dieser Tagung immer wieder beschworen.

Johanno Strasser, Erhard Eppler und ein Dutzend anderer Sozialdemokraten, früher immer als hoffnungslose Minderheit in der Partei belächelt, halten heute sozusagen die grünen Positionen in der SPD besetzt. Wenn Strasser zum Beispiel von der „kleinräumigen Stabilisierung der Gesellschaft“ redet, von „fehlenden Konsumentenstrategien“, vom „beengten Demokratiebegriff“ oder davon, daß „das Mitbestimmungsmodell des DGB unter ökologischen Gesichtspunkten nicht mehr zeitgemäß“ sei, dann entsteht der Eindruck, man befinde sich auf einem grünen Perspektiv-Kongreß. Scheinbar erfolgreich ist der SPD die Entmischung gegenüber den Grünen gelungen. Sie werden nicht mehr gebraucht. Die SPD ist inzwischen zumindest als Oppositionspartei in der Lage die zentralen grünen Themen erfolgreich zu besetzen. Wie glaubwürdig sich die Diskussion und neue Programmatik in neue politische Handlungsstrategien umsetzt bleibt abzuwarten. Auffallend und nicht unbedingt ein Zeichen gesellschaftlicher Öffnung ist die Distanz zur grünen Partei und der Glaube, man werde auch ohne sie die Gesellschaft ökologisch reformieren können.

Max Thomas Mehr