Moskau vollwertiges Mitglied der Weltwirtschaft

■ IWF- und Weltbanktagung in Moskau: UdSSR noch immer über polnische Forderungen erzürnt / 300 Umweltschützer stritten mit 80 Ökonomiestudenten

Moskau - 9.9.1999 (flobo) - Rechtzeitig zur jährlichen Sitzung von IWF und Weltbank in Moskau hat die sowjetische Regierung mit der Einführung der Konvertierbarkeit des Rubels gestern auch die letzten Barrieren im Jahrhundertkonflikt zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten beseitigt. Im Beisein der Finanzminister und Notenbankchefs des G-8-Ausschusses hatte der Oberste Sowjet nach langen Debatten mit 398 zu 174 Stimmen ein entsprechendes Gesetz mit sofortiger Wirkung verabschiedet.

Zuvor hatte die seit der Aufnahme der UdSSR in den IWF vor fünf Jahren erweiterte Gruppe der acht stärksten Wirtschaftsnationen nochmals Polen deutlich daran erinnert, daß neue Kredite der G-8-Länder erst zur Verfügung gestellt werden könnten, wenn Polen seinen seit achtzehn Jahren nicht geleisteten Verpflichtungen nachkommen würde. Polen ist mit 69 Milliarden US-Dollar verschuldet, davon entfallen auf die Sowjetunion allein 27 Milliarden Dollar.

Der sowjetische Finanzminister Muchin war über die Forderung Polens vom letzten Wochenende nach Erlaß der Hälfte der Schulden noch deutlich erbost. Auf einer Pressekonferenz sagte er: „Es ist in keiner Weise vor dem sowjetischen Volk und den leninistischen Prinzipien zu verantworten, daß die Sowjetunion auf einen Teil des verliehenen Geldes verzichten soll. Von einem Bruderland kann man erwarten, daß es seinen Verpflichtungen mit familiärem Verantwortungsbewußtsein nachkommt. Hätten wir das Geld auf einer ordentlichen Bank angelegt, hätten wir in den letzten fünf Jahren mehr Gewinn erwirtschaftet als Polen uns in den letzten zwanzig Jahren gezahlt hat. Der sowjetische Mensch hat ein Recht darauf, daß der Staat mit seinen Steuergeldern sorgfältig umgeht.“

Im Interimssausschuß der IWF kündigten die Japaner gestern zusätzliche Kreditmittel zu besonders günstigen Zinssätzen an, die an die 103 Entwicklungsländer begleitend zu den IWF -Maßnahmen ohne besondere Auflagen vergeben werden sollen. Diese Initiative, so ein ein Sprecher der japanischen Banken, sollte besonders wachstumsorientierte Konzepte unterstützen und damit die Strukturanpassung weiter vorantreiben.

Der Sprecher der Deutschen Bank, Kasch, unterstrich in seiner Pressekonferenz nach einem Gespräch im Kreml seine Bemühungen, die Privatbanken als Gläubiger der ärmsten Staaten der Welt zu einem Schuldenerlaß zu bewegen. Bislang seien durch seine Initiative 30 Prozent der Banken mit 90 Prozent der Kredite zu einem solchen Verzicht gegenüber den dreißig ärmsten Staaten der Welt bereit. Hier habe sich das langjährige Engagement der Bank bei der Lösung der Schuldenkrise ausgezahlt.

Am Abend begrüßte der vor einem Jahr aus den Ämtern des Generalsekretärs und des Staatspräsidenten geschiedene Ehrenvorsitzende der KPdSU, Michail S.Gorbatschow, im Bolschoi-Theater die an der Tagung von IWF und Weltbank teilnehmendenn Finanzminister und Notenbankchefs mit Mussorgsgijs Oper Boris Godunow.

In einer kurzen Ansprache verwies Gorbatschow auf die große Leistung der Sowjetunion und der ganzen Völkerfamilie im Kampf um den Frieden und wirtschaftlichen Fortschritt, die sich mit dieser ersten Tagung von IWF und Weltbank in Moskau manifestiere. Für ihn persönlich sei es eine große Genugtuung, nun die Früchte von Perestroika und Glasnost ernten zu dürfen. Finanzministerin Mathäus-Maier zeigte sich am Arm des ungarischen Finanzministers von dem Spektakel sichtlich beeindruckt, nicht dagegen von den politischen Auseinandersetzungen in Moskau.

Auf dem Marx-Prospekt vor dem Theater war es vereinzelt zu Gerangel zwischen demonstrierenden Umweltschützern und Betriebswirtschaftsstudenten gekommen. Die etwa 300 Umweltschützer forderten vom IWF und der Weltbank, endlich nicht mehr die Abholzung des tropischen Regenwaldes zu finanzieren. Statt dessen sollten schnell und unkompliziert Kredite zur Reinigung der Gewässer bereitgestellt werden. Dem trat eine Gruppe von etwa 80 Studenten der Betriebswirtschaft entgegen, die lautstark die Politik der beiden Weltfinanzorganisationen unterrstützen. Auch für die Sowjetunion sei der Handel mit Edelhölzern oft die einzig angemessene Gegenleistung für die Lieferung von Maschinen. Zudem lebe die sowjetische Druckindustrie von den schwimmenden Papierfabriken im Dschungel. Die freiheitlich sozialistische Ordnung stehe auf dem Spiel, wenn die Sowjetunion ihren harten Kurs gegenüber den Schuldnerländern nicht beibehalte. Die Miliz schritt nicht ein.

Im Bankenviertel der Stadt, entlang der von Le Corbusier entworfenen Kirov-Straße hatte es in den letzten Tagen immer wieder vereinzelte Demonstrationen gegeben, bei denen Forderungen nach Schuldenstreichung und einer stärkeren Gewichtung der Entwicklungsländer im IWF lautwurden. Auch hier hielt sich die Miliz deutlich zurück.