Wenn es Nacht wird und die Banker singen

Champagner, „deutsch Snaps“ und Gesang / Mit einem Galaempfang für 4.000 Gäste feierte sich der Gastgeber  ■  Aus Berlin Vera Gaserow

Wenn es Abend wird im ICC, die Chauffeure die Daimler -Scheiben zum vierundfünfzigsten Mal von einigen spärlichen Regentropfen freigeledert haben und die Stimme aus dem Polizeilautsprecher schon heiser ist von Durchsagen wie „Drei-grün-L-eins-fünf-acht“, dann wird es so richtig gemütlich im Berliner ICC. So auch am Dienstag abend: Da sich mit leerem Bauch nur schwer über den Hunger der Welt beraten läßt, hatten die Deutschen Gastgeber der Jahrestagung von IWF und Weltbank die Herren des Geldes, Finanzminister und Banker, Politiker und Polizisten zu einem Empfang geladen, um deutsche Köstlichkeiten zu servieren. Und das war scheint's auch bitter auch nötig.

Fast immer an diesem Abend sind die Teller zu klein, wenn die ausgehungerten Gäste kräftig drängelnd Krabben und Garnelensalat, zig verschiedene Wurstsorten, Pfifferlingshäppchen und Citronencremeschnitten auf das Prozellan laden. Den Hühnchenschenkel gerade zwischen den Zähnen zerteilt, das Sektglas in der Hand, die obligatorische Sicherheitsplakette am Revers redet man hier über „fresh money“, Wechselkurse, Finanzobligationen und „these demonstrations in the city“. „Wir sind die lustigen Holzhackerbuan“, spielt dazu die Musik und über allem liegt die durch die Drehorgel gepreßte „Berliner Luft, Luft Luft“.

Jemand möchte die „Kreuzberger Nächte“ hören, doch das hat der Drehorgelmann nicht in seinem Repertoire, und außerdem sind die zur Zeit gar nicht so lang. „In Kreuzberg alles ruhig“, meldet ein Sicherheitsbeamter seinem Dienstherrn, und darauf müssen Innensenator Wilhelm Kewenig und Kreuzbergs Bürgermeister Krüger erst einmal „einen heben“. Nur irgendetwas muß in diesen Tagen doch ein wenig schief gelaufen sein, denn zwischen den Drehorgelklängen von „Schenk mir doch ein kleines bißchen Liebe, Liebe“ dringen Wortfetzen von „Aufpassen, daß die Presse das nicht aufbauscht“ und von „das ziehen wir eiskalt durch“ aus dem Senatorenmund.

„Really splendid“ seien die Sicherheitsvorkehrungen in Berlin, schwärmt ein Gast aus Thailand, und tatsächlich hat wohl jeder Vierte, der sich hier an den kalten Büffets drängelt, den unverkennbaren schwarzen Balken auf dem Sicherheitsausweis am Jackett, der ihn als Polizisten ausweist. Wer in ganz besonderer Mission unterwegs ist, trägt dazu noch eine piepsende Antenne in der Jackentasche, und immer dort, wo es am lautesten piepst, steht Gerhard Stoltenberg.

Doch nicht jeder, der als Polizist zu erkennen ist, ist dienstlich hier. Als Dank für ihren Einsatz in den letzten Tagen dürfen sich ungezählte Beamte jetzt ganz privat vollfuttern. Und wenn alles getan ist, da klagt so manch Polizeihauptkommissar bei einem Schultheiss-Bier sein Leid. „Schaun Sie sich die Ringe unter meinen Augen an! Kaum geschlafen die letzten Tage. Immer mit 'Ihm‘ unterwegs. Morgens um fünf Uhr aufstehen, weil der um sieben einen Termin hatte und dann ging das bis zwei Uhr nachts. Und dann sitzt du mit ihm im Auto und mußt aufpassen, daß du nicht plötzlich in eine Demonstration reinkommst. Was machst du denn, wenn die Klamotten fliegen? Da hatten wir schon ein bißchen Muffe.“ Zum Glück ist „Er“, ein europäischer Finanzminister, inzwischen abgereist, und jetzt muß man schauen, daß man die Überstunden abgebummelt kriegt.

Von Politik und oder gar Schuldenkrise vesteht Polizeihauptkommissar M. nicht so viel. „Diese Gesellschaft hier, das imponiert mir nicht. Ich trinke hier mein Bier und esse mein Abendbrot, das ist alles.“ Nur das mit dem Butterberg und den hungernden Kindern in Afrika, das gibt dem Beamten doch „irgendwie“ zu denken. Sein für die Tagung „ausgeliehener“ Polizeikollege aus Rheinland-Pfalz macht sich währenddessen im Dachgarten in der Lufthansa-Lounge Gedanken, was er an dem einen Tag, den er an seinen Berlin -Aufenthalt noch „ranhängen“ will, wohl unternehmen könnte. Olympiastadion und Reichstag will er auf alle Fälle sehen. Na und Kreuzberg, das kennt er ja nur vom Durchfahren in der Wanne, bloß da dürfte man mit Jacket und Schlips nicht hin, haben ihn seine Berliner Kollegen gewarnt.

Zu vorgerückter Stunde schlagen die Herren in den feinen Anzügen vor Lachen auf den Tisch, daß die Champagnergläser hüpfen. Ein Gast aus Somalia schwärmt selig von „deutsch snaps gut“, und die Japaner müssen sich unbedingt noch mit dem Schwarzwaldmädel im Trachtenkleid vor dem Plakat „unsere schönsten Städte“ ablichten lassen. Schließlich ist der Zeitpunkt gekommen, wo Männerhände in Rückendekolletes gleiten und Gattinnen die kneifenden Schuhe unter den Tischen ausziehen. Am Stand des Saarlands haben inzwischen die lateinamerikanischen Kongreßdelegationen die Macht über das scheppernde Klavier übernommen. Unter rhythmischem Gejohle und Geklatsche reißen sich die Herren in den Nadelstreifenanzügen das Mikrofon aus der Hand und intonieren lauthals „Lalabamba'lalabamba!“ „Really a nice city, Berlin, and such a nice party“, findet auch der Gast aus dem fernen Afrika. Und die taz-Beobachterin überlegt nach diesem Abend im ICC verzweifelt, wer verdammt auf die blödsinnige Forderung gekommen ist, man sollte diesen Herren die Schulden streichen.