FEUERSTURM

■ Grossien bei stil und bruch - miriam cahn im Haus am Waldsee

Und wieder einmal scheint erst ein Feuersturm über die Erde hinweggegangen zu sein, und wieder einmal liegen die Stätten menschlicher Kultur in Schutt und Asche, damit der Künstler in die Rolle eines Archäologen schlüpfen kann, der uns nun seine von der Verletzbarkeit und Zerstörungswut des Menschen zeugenden Fundstücke präsentiert. Grossien konnte seinen Plan, die Ausstellung in der Form einer pharaonischen Grabkammer zu inszenieren, in den Räumen von „stil und bruch“ zwar nicht verwirklichen, aber den Charakter von Grabbeilagen, von aus dem Zusammenhang gebrochenen Ruinenteilen, von Fragmenten zerstörter Wandbilder ist seinen Reliefs und Objekten eigen. Verkrustet, zerkratzt, spröde, in erdigen und steinigen Farben stellen die Tafeln immer nur noch die letzten Spuren von etwas nicht mehr Existentem dar. Doch diese Vorliebe für apokalyptische Phantasien scheint nicht nur Gefühlen der Bedrohung, Angst und Sorge entsprungen zu sein, sondern auch einer gewissen Lust am Untergang und am Morbiden, auf die Grossien auch mit ein wenig Selbstironie hinweist. So scheint er die Reliquiensammlung im „Museum für 37 Seelen“ nicht ganz ernst zu meinen: In einem aufgeklappten Koffer hängen, sorgfältig numeriert mit Zettelchen wie aus der Gepäckaufbewahrung, 37 bandagierte und mumifizierte Objekte - Fotoapparat, Brille, Tasse, Flasche, Säge, Spachtel, Teddy, Schnuller und so weiter, wobei das zu Grabe getragene Kinderspielzeug ausgesprochen makaber wirkt.

Halb scheint Grossien der Versuchung nicht widerstehen zu können, seine Werke als kultische Objekte der Verehrung zu präsentieren, halb aber verfällt er in Nonsense-Allüren. Das Zerstörte übt eine ambivalente Faszination aus. Mit dem Reiz einer möglichen Explosion spielt Grossien in der „Landschaft mit drei Sprengkammern“: In einmontierten Taschen stecken China-Böller unter der Farbe. Geladene Bilder, im wörtlichen Sinne.

Farbglühende Explosionen, die sich dem Energieausbruch als faszinierendes und rauschhaftes Ereignis hingeben, ohne seine zerstörerischen Potentiale zu thematisieren, zeigt in konsequentem Zugeständnis ihres gebannten Blicks miriam cahn unter dem Titel „Atom-Bomben“. Die moralische Verurteilung der Atom-Bombe sei ihr eine zu einfache und zu leicht erhaltene Reaktion, erklärt miriam cahn, die dem Phänomen des Umgangs unserer Gesellschaft mit der Atom-Energie nicht entspreche. Sie will sich dagegen in bewußter Provokation mit der Anziehungskraft dieser Energie-Ballungen auseinandersetzten, die sie für ein uneingestandenes Motiv für die Existenz und Akzeptanz der Atom-Energie hält und die vielleicht in noch tieferen Bewußtseinsschichten als wirtschafts- und machtpolitische Interessen dafür verantwortlich ist. Doch vor ihren schnell aquarellierten Ausbrüchen, in denen die Farbe in umgekehrter Richtung wie bei der Entfaltung des Atom-Pilzes sich im nassen Papier ausbreitete, sträubt sich etwas in mir, eine Atom-Bombe als visuelles und ästhetisches Ereignis wahrzunehmen. Ich kann die Bilder nicht glaubhaft als Auseinandersetzung mit dem Phänomen begreifen, das ihr Titel benennt.

Deutlich aber stellt deren Farbigkeit eine gewaltsame ästhetische Zensur in den Arbeiten miriam cahns dar. Ihre ganze übrige Bilderwelt ist sonst aus grauschwarzem Kreide und Kohlestaub hervorgeholt. Es ist ein geschlossener Kosmos, in dem die Erscheinungen von Wolken, Gesichtern und Tieren nur verschieden dichte Ballungen der gleichen dunklen Materie zu sein scheinen. Um die Konventionen von Gestaltung, Bildkomposition und Zeichensystemen von sich abzuschütteln, hat miriam cahn einen Weg gesucht, ihre Energien und körperlichen Befindlichkeiten ohne erkennende, reflexive und ordnende Distanz direkt auf das Papier zu bringen. In den pulverisierten Kreidestaub kann sie auf dem Tisch oder dem Boden mit dem ganzen Körper und den Händen hineinarbeiten. Was dann erst nur die Spur ihrer Bewegung war, wird dann aus dem Staub herausgelesen, als figürliche Erinnerung angenommen und mit Kreidestückchen weitergezeichnet. Der unfixierte Staub auf den Bildern wird auch wieder verwischen und verwehen - ewigen Bestand beanspruchen sie nicht. Für Ausstellungen tackert miriam cahn ihre Papiere bloß an die Wand, so daß beim Abnehmen Risse und Ausfransungen entstehen. Manchmal werden die Bildwunden mit Tesafilm gepflastert.

Wirbelnde, chaotische und der Orientierung beraubte Momente von Gefahr und Bedrohung, Schmerz und Wut lassen sich jetzt aus dem Staub lesen. Weiße Löcher in dunklen Flächen und schwarze Ringe im Hellen werden zu kullernden, erschrocken starrenden Augen. Aus den Spuren der wischenden Hand entstehen Tiere mit gesträubtem Fell, die sich aufbäumen und winden. In fahrigen Kurven fallen Figuren ihre Köpfe ab und ziehen sie nach unten wie ein Stein den Ertrinkenden.

Katrin Bettina Müller

Grossien: „Schönheit ist schwer“ bis 9.10. in der Galerie stil und bruch, Admiralstraße 17, Do-So 14 bis 19 Uhr; miriam cahn: Lesen in Staub und Arbeiten von 1976 bis 1988 im Haus am Waldsee, bis 30.10., täglich außer montags 10 bis 18 Uhr.