ENDSTATION MODERNE

■ Eine Ausstellung über Ausstellungen im Berliner Gropius-Bau

Sabine Vogel

„Der Straßenanzug signalisierte die Lust an einer noch als unsicher empfundenen wiedergewonnenen Freiheit.“ (Eberhard Roters, ehem. Direktor der Berlinischen Galerie im Katalogvorwort)

Dilettanten erhebt Euch gegen die Kunst!“, hieß es in der Ersten Dada Messe von 1920, die als eine von 20 Stationen der Moderne exemplarisch und so gut es ging „maßstäblich“ rekonstruiert wurde. Während man bei den übrigen Sektionen um „Authentizität des Kunstwerks“ Sorge trug, erlaubte man sich bei Dada Reproduktionen, die dafür „inszenierungsbewußt“ (Grasskamp) eingesetzt wurden. Aber es hatte sich 1920 kein Einsteinsches (Carl) Wunder ereignet und die Antikunst verpuffte zum kunsthistorischen Apercu, das sich in den Lauf der Dinge und Geschichten einreiht wie all die anderen zu ihrer Zeit provokativen Ausstellungen und Gegensalons und Independents und Juryfreien auch. Die Kontinuität der Kunstgeschichte triumphiert über ihre „Einbrüche“, von denen sie schließlich immer wieder ihre Adrenalinschübe bezieht.

Thema der Ausstellung über Ausstellungen, die „Geschichte machten“, so der Initialideengeber des Projekts Bernhard Schultz, sei „der rezeptiosgeschichtliche Ansatz“. Für Grasskamp ist schon die „Konstellation der Bilder im Raum eine der faszinierendsten Fragen der Kunstgeschichte“. Jörn Merkert, der Ausstellungsmacher, hoffte immerhin naiv, den Skandal oder die Sensation der jeweiligen Ausstellungen nacherlebbar zu machen. Jedoch hinter der lobenswerten Detektivarbeit des Eruierens und Zusammenleihens der Bilder verflüchtigt sich die ausstellungsgemäße Vergegenwärtigung der Umstände im abstrakten Selbstverständnis.

Ohne den Zusammenhang zwischen Kunstwerk und gesellschaftlicher Realität aber ist „Moderne“ nur solange zu begreifen, wie sie sich im beschränkten System der „autonomen Kunst“ bewegt. Folgerichtig beginnt der Trimmpfad durch „die Ausstellungen, die Kunstgeschichte schrieben“, nicht dada, wo das System als solches in Frage gestellt wird, sondern 10 Jahre früher mit der Brücke, Dresden 1910, in der die Kunst in antiakademischem Gestus reussierte. In Schmidt-Rotluffs Deichbruch werden malerische Konventionen mit Farbstrudeln überflutet. Verändert werden sollte nicht die Gesellschaft, sondern die Kunst.

Mit dem Viereinhalb- Millionenprojekt der Berlinischen Galerie unter der Leitung von Eberhard Roters und seinem Nachfolger Merkert endet der mit Beuys begonnene E88 -Großmannstaumel im Bildkunstwesen. Das ambitionierte Unternehmen soll Berlin als „Ort des Neuen“ propagieren, reicht aber bloß bis in die „Gegenwart“ von 1969 und apostrophiert Berlin höchstens als Ort des Gestrigen. Selten wurde so kundig und materialgetreu vorgeführt, wie sehr die Gegenwart Berlins im Laufrad einer nostalgischen Endlosschleife zirkuliert.

Die Stationen der Moderne offenbaren einen aufrichtig konservativen Begriff der Moderne: nach gängigem Wichtigkeitskonsens, ein wenig zu sehr berlinisch, passieren die Ausstellungsklassiker „zum Argument geballt“ (Kultursenator Hassemer) Revue. Schlaglichter, Schlagworte: Blauer Reiter, Erster Deutscher Herbstsalon von Herwarth Walden 1913, Dada-Messe, Erste Russ. Kunstausstellung, Neue Sachlichkeit, Werkbund Film und Foto, Entartete Kunst, Exilausstellung London und Paris 38.

Der Künstler aber sei imgrunde „immer im Exil“, läßt Merkert verlauten. Und der „andere Blick“ des Künstlers auf die „Wirklichkeit“ legitimiert sich erst recht nach dem Krieg mit einer neuen expliziten Weigerung, sich „ideologisch“ vereinnahmen zu lassen. Die Allg. Dt. Kunstausstellung Dresden 1946 rehabilitiert die Verfemten, die bald darauf Kunstprofessoren werden, Zen 49 ästhetisiert die Stunde Null und beschwört eine Wahrhaftigkeit jenseits allen Weltbezugs, Quadriga Ffm. 52 knüpft an den „Neuexpressionismus“ an, und Zero Berlin 63 glaubt an immaterielle Vibrationen und proklamiert den „neuen Idealismus“.

Noch bevor aber Lucio Fontana bei Zero seine aufgeschlitzten Leinwände präsentiert und damit die traditionelle Kunstauffassung quasi am eigenen Leib verletzt, wird auf der documenta 2 1959 einer Abstraktion gehuldigt, die die Malerei wieder auf ihr scheinbar autonomes Terrain verweist. Von „Menschheitskultur“ und „moralischem und intellektuellem Neubeginn“ schwafelt der documenta-Macher Haftmann, die „Kunst bestimme die Grundverhältnisse des Menschen in seinem Dasein in der Welt“, jawoll.

„Kunst ist anstrengend“, meldet der Berliner Telegraf 1959. Kosmische Harmonie stand auf dem Programm des Zeitgeistes; die im Aufschwung begriffene Gesellschaft konnte mit „Antikunst“ nichts mehr anfangen. Auf die minimalistischen Lichtkinetiken, die doch bloß das Material der Kunstproduktionen erweitern wollten und nicht ihren Begriff, folgt 1965 die Station Großgörschen 35. Hier hatten sich Künstler mit dem Ziel zusammengeschlossen, „in erster Linie die gängigen Marktstrategien zu überwinden“. Die erste Selbsthilfegalerie verweist zwar warholmäßig -ökonomisch in die Zukunft, bringt aber mit ihrer Vorliebe für Öl auf Leinwand bloß wieder den Anschluß an die „antiakademischen“ Maler der ersten Stationen-Stunde. Wieder werden die meisten Kunstprofessoren, Garanten zur Bewahrung einer berlinisch gegenständlichen Tradition, die bis heute gepflegt wird.

Doch nicht die neoexpressionistischen Pinselhuber von Großgörschen runden den Ausflug in die klassische Moderne ab. Ehrlicherweise klemmt sich ein Kapitel mit Fluxus und Fernsehgalerie Schumm hintan. Wieder die Infragestellung des Systems „Moderne“, „Antikunst“: Emmett Williams Komposition bestand darin, mit einem Pflasterstein auf einen Resonanzboden zu hauen. In Nam Jun Paiks Stück One for Violine wurde nicht mehr und nicht weniger als eine Geige zertrümmert. Vostell differenzierte zwischen „politischer, kommerzieller und luxuriöser“ Kunst. Gleichzeitig mit Yoko Onos Lofthappenings treten die europäischen Kunst-Beatniks mit tapemusic auf den Plan und propagieren den „Kollektivismus und Internationalismus“ von Fluxus: „Antikunst, Konzeptkunst, Automatismus, Indeterminancy, Musik usw.“ „Bei Danger Music No 3 rasierten wir meinen Kopf und warfen politische Pamphlete ins Publikum“, erzählt Dick Higgins. Gleich welcher „politischen Art“ die Texte waren, die Antikunst-Demonstrationen knüpften an die Demontagen des Individuumes, des Genies, des Schöpfertums an, die schon bei Dada und Proletkult mittels Theaterkostümen und Kaffeegeschirrdesign museal integrierbar auftraten.

Destruktion der eigenständigen Produktionsmittel, bei Fontana radikal vorexerziert, in Fluxusaktionen publikumswirksam uminterpretiert, erscheint als ein mittlerweile auch schon wieder etablierter Versuch, die Moderne wiederzubeleben. Während Merkert noch die innere Notwendigkeit beschwört, aus der „Isolation des Ateliers auszubrechen“ und dabei schon einen „erweiterten Kunstbegriff“ am Horizont dämmern sieht, haben sich die Protagonisten des Neodada auf eine neue Utopie spezialisiert. In der Fernsehgalerie Gerry Schum/SFB 69 wurden einmalig - und lapidar gesagt - „Überlegungen einer veränderten Kunstauffassung“ umgesetzt. Das Kunstwerk realisierte sich in der TV-Ausstrahlung und die Land-Art -Künstler und -Aktionen sind schieres Bildmaterial. Medienmaterial. Stationen der Moderne hört auf, wo es interessant wird. Im Moment, da die Kunst ihre Autorenschaft zerstreut und das Werk im „Event“ aufgehen läßt, da das Medium als Massage die Message ersetzt, könnten die Vokabeln der „Moderne“ neu gemischt werden.

1968 gabs nicht nur die Idee der Fernsehgalerie. 1969 wurde in Chicago Art by telephone in Form einer Schallplatte festgehalten: Bürokunst nach einer Zukunftsvision von Moholy -Nagy von 1922, die Realisierung konzeptueller Reinheit. Medienkunst, zuendegedacht in der Parole „TV statt Kunst“.

Im übrigen hatte die Pop-Art bereits den Formenkanon der Bildermalerei erweitert und das Reproduktionsproblem konstruktiv gewendet; Aktionisten hatten „Alles“ zur Kunst erklärt und die „Atelierisolation“ einfach durch die Tür verlassen, und vieles mehr geschah, wovon die Ausstellung über Ausstellungen schonungslos schweigt.

Diese Moderne endet im Kopfbahnhof des Museums. Als Museum ist sie natürlich dennoch eine lehrreiche Kulturstätte für bildungsbewußte Freizeitgesellschaftler.

„Stationen der Moderne - Die bedeutenden Kunstausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland“, Berliner Gropiusbau, bis 8.1.1989, tägl. außer Mo 10-22 Uhr, Katalog Nicolai Verlag, 552 S., 48 DM, geb. 58 DM.