piwik no script img

Brandflaschen-Hagel in den Straßen von Seoul

■ Studentendemonstration für die Freilassung des Studentenführers Oh Young-Sik endete in den heftigsten Auseinandersetzungen seit sechs Wochen / Störungen des Olympia-Marathonlaufs angekündigt...

Aus Seoul Jürgen Kremb

In den Straßen um die Korea-Universität im Nordwesten Seouls kam es am Mittwoch zu den heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und mehreren Hundertschaften der Polizei seit sechs Wochen. Ausgangspunkt war eine Kundgebung auf dem Kampus der Korea-Universität. Verschiedene Redner hatten dort die sofortige Freilassung des Studentenführers Oh Young-Sik gefordert, der am vergangenen Freitag im Anschluß an eine Pressekonferenz auf dem Gelände der Yonsei -Universität festgenommen worden war. Oh gilt als die Nummer Eins in der Hierarchie der Untergrund-Studentenführer Südkoreas. Schon seit Monaten wurde auf Fahndungsplakaten landesweit nach Oh gesucht. Auf seinen Kopf war eine Summe von umgerechnet circa 13.000 Mark ausgesetzt gewesen. Studentenverbände hatten bereits am Wochenende im Anschluß an die Festnahme angekündigt, daß sie den Marathonlauf im Rahmen der Olympischen Spiele stören werden, der für morgen angesetzt ist, sollte Oh Young-Sik nicht auf freien Fuß kommen. Am Mittwochnachmittag sperrte die mit Eisenstangen und Holzknüppeln bewaffnete Polizei die Straßen rund um das Uni-Gelände ab. Daraufhin zogen Hochschüler aus dem Kampus und errichteten brennende Barrikaden. Als sich Einheiten der „Polizei zur Aufstandsbekämpfung“, Samurei-Kämpfern gleich, an allen Straßenecken rund um das Gelände aufgebaut hatten, hagelten die Steine und wenig später Mollies. Zwischen all dem tummelten sich, wie selten zuvor bei Demos, die Bildreporter der internationalen Presse.

Nach mehreren, jedoch auffällig vorsichtigen Attacken, diesmal ganz ohne Tränengas, zog sich die Polizei ganz plötzlich zurück. Offenbar sollte vermieden werden, daß Bilder von Tränengaseinsätzen und Studenten, die über das Pflaster geschleift werden, zum „Friedensfest Olympia“ über die Bildschirme der Welt flimmern. Viele der Demonstranten schienen über den Abzug der Gegenseite so überrascht, daß auch sie ihre Aktionen abbrachen, als die Polizei verschwand.

Zu beobachten war am Mittwoch jedoch gleichzeitig ein bemerkenswerter Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Gerade die Anwohner des Chang-An Bezirks, in dem die Korea -Uni liegt, reagierten sehr erbost über die Aktionen der Hochschullehrer. „Wir haben genug von den Studenten“, sagte eine junge Frau. Ihre Nachbarin meinte: „Muß das denn sein, während der Spiele? Wie steht Korea denn da vor der Welt?“ Damit könnte die Rechnung der Regierung aufgehen, die hofft, in einem nationalen Stimmungshoch nach den Spielen massiv gegen die zu aufmüpfigen Hochschüler vorgehen zu können, die ihr bereits im letzten Jahr viele demokratische Zugeständnisse abgetrotzt hatten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen