Augenblicke-betr.: taz vom 27.9.

Augen-Blicke,

taz vom 27.9., S. 2

1942 wurde ich in Frankreich als Deserteur zum Tode verurteilt. Nach vier Monaten in der Todeszelle erhielt ich 12 Jahre Zuchthaus. Ich kam ins KZ, und zum Kriegsende wurden wir beim Strafbataillon 500 an der Ostfront verheizt. Fast keiner überlebte. Dieser Tage nun war in in Westberlin. Unterhalb der Gedächtniskirche, auf dem Breitscheidtplatz, spielten einige kleine Laiengruppen vor ca. 100 Zuschauern Anti-IWF- und Weltbanksketche. Kein Passant wurde gestört. Plötzlich wollte uns die Polizei abräumen. Das Bild zeigt einen ältere Frau, welche ohne jeden Grund von der Polizei überfallartig angegriffen wurde. Ich wollte ihr zur Hilfe kommen und wurde von mehreren Polizisten brutal zu Boden geworfen, und mein Zeug wurde zerrissen.

In meiner Haftzeit wurde ich auf Transporten oft von der Polizei mißhandelt, und nun werde ich wieder ohne jeden Grund von der Polizei mißhandelt.

Da bei uns Zivilcourage und der Mut zum Nein-Sagen nicht gefragt sind, befürchte ich oft, daß bei unseren Strukturen von Befehl und Gehorsam nur wieder ein starker Mann zu kommen braucht, und alles ist wieder möglich. Und nicht nur bei der Polizei - sie wissen es nur nicht.

Wir älteren Antifaschisten haben die Pflicht, unsere Mitmenschen dafür sensibel zu machen, wie leicht aus „Demokraten“ wieder Mitläufer und Täter werden können.

Ludwig Baumann, Bremen