Gericht erklärt SAS-Morde für rechtmäßig

Untersuchung in der britischen Kronkolonie Gibraltar abgeschlossen / Geschworene entscheiden mit 9:2 Stimmen, daß Erschießung der unbewaffneten IRA-Männer „rechtmäßig“ war / Familien der Getöteten wollen vor Europäischen Gerichtshof ziehen  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Sondereinsatztruppe des britischen Militärs, SAS, hat rechtmäßig gehandelt, als sie am 6.März dieses Jahres drei unbewaffnete Mitglieder der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) in Gibraltar erschossen hat. Das entschieden die Geschworenen mit 9:2 Stimmen am Freitag zum Abschluß der Untersuchung vor einem Gericht in der britischen Kronkolonie. Auch nach achtstündiger Beratung kamen die Geschworenen zu keinem einstimmigen Urteil. Noch am Nachmittag schien es, als ob die Geschworenen überhaupt keine Entscheidung fällen würden, weil die Mehrheitsverhältnisse äußerst knapp waren. Coroner Pizzarello, der die Untersuchung leitete, wollte jedoch höchstens zwei Gegenstimmen akzeptieren.

Dennoch sahen die Anwälte für die britische Krone und für die angeklagten Soldaten das Urteil als einen Erfolg an. Beide sagten, daß die SAS-Soldaten rehabilitiert seien. Rechtsanwalt McGrory, der die Familien der getöteten IRA -Leute vertrat, war zwar von dem Urteil enttäuscht, erklärte jedoch, er habe nach der bösartigen Pressekampagne ohnehin keine vorurteilsfreien Geschworenen erwartet. Darüber hinaus sei seine Arbeit während der Untersuchung ständig behindert worden, indem ihm die schriftlichen Zeugenaussagen erst in letzter Minute ausgehändigt wurden, so daß eine Vorbereitung auf das Kreuzverhör unmöglich war.

Die gegnerischen Anwälte hatten dagegen die Möglichkeit, Zeugen schon vor der Untersuchung zu befragen. Außerdem erhöhte das Gericht ohne jede Erklärung die Gebühren für Transskripte der Gerichtsverhandlung von 30 Pfennig pro Seite auf 15 Mark.

„Nach diesem Urteil hat die britische Regierung nicht den geringsten Grund zur Beruhigung“, sagte McGrory jedoch. Niall Farrell, der in Ost-Berlin lebende Bruder der getöteten Mairead Farrell, fügte hinzu: „Das Urteil zeigt, daß mindestens zwei der Geschworenen glauben, die drei seien ermordet worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein Pyrrhus-Sieg für die Krone.“ Die Familien der Erschossenen planen, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen.

Während der vierwöchigen Untersuchung, die ca. drei Millionen Mark gekostet hat, wurden 97 ZeugInnen gehört. Dennoch blieben viele Fragen unbeantwortet. Die SAS -Soldaten, die während der Verhandlung hinter einem fünf Meter hohen Vorhang verborgen waren, hatten in nahezu wortgleichen Erklärungen behauptet, erst geschossen zu haben, nachdem die IRA-Leute Warnrufe ignoriert und „verdächtige Bewegungen“ gemacht hätten. Dieser Version widersprachen mehrere AugenzeugInnen. Das spanische Ehepaar Proetta erklärte, daß mindestens zwei der IRA-Leute die Arme erhoben hatten, als sie erschossen wurden. Die SAS-Soldaten hätten auch dann noch geschossen, als die beiden schon am Boden lagen. Einer der Soldaten hatte vor Gericht sogar ausgesagt, daß er weitergeschossen hätte, auch wenn sich sein Opfer ergeben hätte. Britische und irische Juristen wiesen darauf hin, daß die Übertragung der Polizeigewalt auf das Militär nur in extremen Situationen zulässig sei und eine politische Entscheidung voraussetze. Diese Entscheidung sei ein Indiz dafür, daß die Erschießung der IRA-Leute von vornherein geplant war.

Die Rechtfertigung der SAS-Soldaten beruhte zum großen Teil auf der Behauptung, daß der spanische Geheimdienst eine Zusammenarbeit verweigert habe. Deshalb habe der SAS das IRA -Trio nicht beim Überschreiten der Grenze von Spanien nach Gibraltar verhaften können. Mitglieder der spanischen Polizeieinheit „Terrorismo Internacional“ hatten dagegen drei Tage nach den Erschießungen gegenüber der Zeitschrift 'Interviu‘ erklärt, daß 25 Polizisten das IRA-Trio in Spanien ständig beobachtet hätten. Der britische Geheimdienst MI-5 sei jederzeit über die Bewegungen der IRA -Leute informiert gewesen. Die spanischen Sicherheitsbeamten sagten jedoch vor dem Untersuchungsgericht nicht aus, weil das einer Anerkennung der britischen Rechtshoheit über Gibraltar gleichgekommen wäre. Die spanischen Behörden leisteten sich diese Geste nicht, zumal Margaret Thatcher bei ihrem Staatsbesuch in Spanien vor elf Tagen den britischen Anspruch auf Gibraltar bekräftigt hatte.