Ungarns Jungkommunisten bekommen Konkurrenz

Der unabhängige ungarische Jugendverband „Fidesz“ veranstaltete am Wochenende seinen ersten Kongreß / Heavy-Metal-Freaks und Arbeiter einig für Mehrparteiensystem / Entmilitarisierung und „Freiheit wie im Westen“ / Hoffnung auf Gorbatschow  ■  Aus Budapest R. Hofwiler

„Nein, jetzt ist es noch zu früh, um als unabhängige Partei aufzutreten, aber in ein paar Jährchen, da bieten wir den Kommunisten die Stirn“, erklärt György Nemeth vom „Bund junger Demokraten“, kurz „Fidesz“ genannt, der am Wochenende seinen ersten Kongreß nach Budapest einberief. 600 Delegierte stritten und debattierten zwei Tage lang über die Frage, wie der unabhängige Jugendbund, den „neuen Glasnost -Wind aus Moskau so aufgreifen kann, um im kleinen Ungarn ein Mehrparteiensystem zu schaffen, eine wirkliche Demokratie“, wie es ein Redner nannte. „Wir erwarten von den Personalveränderungen in der sowjetischen Führung eine Stärkung des Reformflügels der ungarischen Partei.“

Der Fidesz wird zwar noch von den kommunistischen Massenorganisationen Ungarns geächtet, aber kaum verfolgt. Es gibt ihn auch erst seit sechs Monaten, die Mitglieder dürfen, wie es die Bezeichnung schon andeutet, nur zwischen 16 und 35 Jahre alt sein. Die Redner zeigten sich geradezu euphorisch über die Möglichkeiten, die sich ihnen im Lande des „Gulaschkommunismus“ böten: „Wir sind jung und ohne geschichtliche Hypothek, wir sind ehrlich und es liegt nur an uns, unsere Energie für ein demokratisches System einzubringen“, erklärte Gabor Fodor vom Podium herab.

Aber wie das konkret geschehen könnte, darüber waren sich die Teilnehmer nicht so ganz im klaren. Auch Rudolf Joö vom „Demokratischen Forum“, den die Jungpolitiker gerufen hatten, um bei der Ausarbeitung eines Programms behilflich zu sein, wußte keinen Rat. Wie, so das Problem, soll man die jetzt bereits über 1.500 Mitglieder, von Arbeitslosen, Heavy -Metal-Freaks, Hochschulabsolventen, Arbeiter unter ein Dach bringen? Fodors Antwort: „Es liegt an den herrschenden Kommunisten, die uns jahrzehntelang entmündigt haben und uns in einer Baracke zurückließen, in der wir das politisieren erst noch lernen müssen.“

Davon war viel die Rede in den oft persönlich gefärbten Beiträgen. Tabuthemen gab es keine: Ungarn soll ein Mehrparteiensystem bekommen, ein entmilitarisiertes Land werden und frei, „wie im Westen“. Da man sich über den Weg dorthin nicht so recht einig werden konnte, beschloß man, für November noch einen Kongreß einzuberufen, auf dem dann ein Statut und ein Aktionsprogramm verabschiedet werden soll.

Während sich in den anderen sozialistischen Staaten im Bezug auf unabhängige Bewegungen wenig tut, konkurrieren in Ungarn bereits unzählige Gruppen um eine „reifere Demokratie“, wie das auch der kommunistische Jugendverband erklärte. Der hatte am Wochenende zu einem Gegenkongreß aufgerufen. Der „Kisz“ wie er auf ungarisch heißt, hat sich bereits bemüht, sich auch unabhängiger zu gebärden, und deshalb auch um Genehmigung bei der Partei gebeten, das Adjektiv „kommunistisch“ ablegen zu dürfen. Er leidet nämlich seit Jahren unter Mitgliederschwund. Beim „Fidesz„ -Forum hatte man denn auch Befürchtungen, man werde neben dem mächtigen Verband nicht bestehen können, zumal der sich auch zunehmend bemühe, nicht nur Rekrutierungsinstanz für die Partei abzugeben, sondern echte Interessenvertretung für Jugendliche. Man hofft, daß sich beide Organisationen zukünftig gegenseitig tolerieren werden.

Die ungarische Parteiführung hatte den Bund nach seiner Gründung als illegal bezeichnet und von Aggressivität gesprochen, die den Dialog mit der Jugend erschwere, den Jugendverband aber nicht verboten. Die Fidesz hofft, im Dezember offiziell zugelassen zu werden, wenn im Parlament ein neues Versammlungs- und Vereinigungsgesetz verabschiedet werden soll. Das politische Gewicht der Organisation sei größer, als es die Mitgliederzahl von etwa 1.500 vermuten lasse.