Kochtopfkonzert bei Wahlfälschung

■ Die Opposition ist auf eine lückenlose Überwachung des Wahlganges vorbereitet / Ausländische Beobachter sind im ganzen Land verteilt / Die Wahlergebnisse werden in der Nacht auf Donnerstag erwartet

„Der entscheidende Tag“ ist ein Buch Pinochets betitelt, in dem der Diktator zu erklären versucht, weshalb er am 11.September 1973 seiner patriotischen Pflicht nachkommen und sein Volk von der „marxistischen Diktatur“ erlösen mußte. Der heutige 5.Oktober könnte zum zweiten entscheidenden Tag in Pinochets curriculum vitae werden, zum Anfang vom Ende der Diktatur. Fast siebeneinhalb Millionen Chilenen, 92 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung - eine Rekordzahl in der Geschichte des Landes - haben sich in die Register eingetragen, um am Urnengang teilzunehmen. Das Volk soll Ja oder Nein zum von der Militärspitze nominierten, einzigen und konkurrenzlosen Kandidaten für die Präsidentschaft 1989-1997 sagen. Ja oder Nein zu Pinochet.

Die Schmutzpropaganda des Ja kannte in den letzten Tagen keine Schamgenzen mehr. So wurden Tausende von Personen aufgrund von Vorstrafen - oft wegen politischer Delikte aus dem Wahlregister gestrichen, und echte oder falsche Carabineros nahmen Hunderten von Personen die Personalausweise ab, um sie an der Stimmabgabe zu hindern. Trotz alledem erwartet man in Santiago, wo ein Drittel aller ChilenInnen lebt, einen deutlichen Sieg der Opposition. Kritischer ist die Situation in den ländlichen Gebieten, über hundert internationale Beobachter, unter ihnen Adolfo Suarez und Misael Pastrana, die Ex-Präsidenten Spaniens und Kolumbiens, sowie Bundestagsabgeordnete sämtlicher Bonner Parteien wollen von Punto Arenas im Süden bis Arica im Norden des über 4.000 Kilometer langen Landes die Wahl begleiten.

Weil sie der Auszählung der Regierung nicht traut, hat die Opposition ein eigenes Computersystem aufgebaut. In allen ungefähr 22.000 Wahllokalen des Landes werden sogenannte „Bevollmächtigte“ der legalen Parteien die Stimmabgabe überprüfen. Die Christdemokratische Partei und die vor einem Jahr gegründete „Partei für die Demokratie“ (PPD) werden die Ergebnisse der einzelnen Wahllokale - jede Partei der Sicherheit halber über eigene Übermittler - auf regionaler und schließlich nationaler Ebene addieren. Die Wahl wird geheim sein. Wer sein Kreuz gemacht hat, muß den Daumen in eine nicht abwaschbare Tinte tauchen. Ein relevanter Betrug auf der Ebene des Wahlaktes selbst scheint so gut wie ausgeschlossen.

Wenn alles regulär läuft, wird das Resultat gegen Mitternacht feststehen. Nach Auszählung der ersten 500.000 Stimmen will die Opposition noch heute gegen 18.00 Uhr Ortszeit alle halbe Stunde Zwischenresultate bekanntgeben. Die Regierung will bereits um 17.00 Uhr beginnen. Noch früher, schon um 12.00 Uhr, will das „Komitee für freie Wahlen“ ihre Hochrechnungen, die auf einem repräsentativ ausgewählten Sample von zehn Prozent aller Wahllokale beruhen, den Computer-Zentren des Ja und des Nein privat mitteilen, damit überhaupt Resultate für den Fall vorliegen, daß der Urnengang vorzeitig abgebrochen werden sollte aufgrund von provozierten Unruhen oder der Explosion einer Riesenbombe, wie man in der Gerüchteküche Santiagos, wo zur Zeit heiß gekocht wird, immer wieder hört. Das offizielle Resultat der staatlichen Wahlbehörde wird für Freitag abend erwartet. Aber solange wird man nur warten müssen, falls der Unterschied zwischen dem Ja und dem Nein äußerst knapp ausfällt oder falls Regierung und Opposition aufgrund ihrer jeweiligen Additionen beide den Sieg beanspruchen.

Das „Kommando für das Nein“ hat für den heutigen Tag klare Instruktionen erteilt: vor allem Ruhe bewahren, sich nicht provozieren lassen und den Sieg „friedlich und in Ordnung“ zu feiern. Falls das „Kommando für das Nein“ erklärt, die Regierung habe die Resultate gefälscht, soll ein Kochtopfkonzert stattfinden. Zumindest in den Armenvierteln der Hauptstadt wird dann allerdings mit Sicherheit eine andere Musik ertönen.