Gol, gol - dopo novantatre minuti

1.FC Norimberga - AS Roma 1:3 n.Verl./ Armer Club: Nach Auswärtserfolg nun doch draußen Preise verprellen Zuschauer/ Horror- und Autofan Eckstein verprellt Vereinschefs/ Völlers Rudi trifft  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Manche Spiele dauern im Widerspruch zu hinlänglich bekannten Fußballweisheiten länger als 90 Minuten - und das kann entscheidend sein. Diese bittere Erkenntnis mußte der 1.FC Nürnberg im UEFA-Cup-Rückspiel gegen das Starensemble des AS Roma machen. Ein Tor in der dritten Minute der Verlängerung besiegelte die Niederlage des Clubs und beendete abrupt das Abenteuer UEFA-Cup. Völlig ungedeckt verstand es der 13 -Millioneneinkauf Renato, den Ball zum alles entscheidenden 3:1 für die Römer im Tor unterzubringen und den Kontostand für sich und seine Kollegen um 30 Millionen Lire (40.000 DM) zu erhöhen. Fünf Minuten später war die Galashow des Ballkünstlers aus Brasilien beendet. Nach einem ebenso blöden wie bösen Foul an Nürnbergs Libero Kuhn überraschte der sowjetische Schiedsrichter Butenko zum ersten und letzten Mal durch schnelles Handeln - er zückte sofort die rote Karte.

Für die Nürnberger hatte alles gut begonnen. Im Hinspiel in Rom gewannen sie völlig verdient mit 2:1, und keiner „wollte sich mehr die Butter vom Brot nehmen lassen“ (Trainer Gerland). Im Gegenteil. Eine Flasche sollte nach dem Rückspiel geköpft und damit die Wende im tristen Bundesligaalltag nach 0:10 Punkten in Folge begossen werden. Dem Krisengerede in Nürnberg, das bis nach Rom vorgedrungen war, sollte eine Ende bereitet werden. „Norimberga a pezzi“ (Nürnberg in Stücken) titelten die italienischen Sportgazetten schon vor dem Rückspiel, und in der Noris sprach man vom „Schicksalsspiel“.

Wessen Schicksal auf dem Spiel stand, war im Vorfeld des Rückspiels leicht auszumachen. Stürmer-As Dieter Eckstein hatte sich mehr auf Äußerungen gegenüber Journalisten als auf seine fußballerischen Qualitäten verlegt, und Manager Heinz Höher blieb jeden Beweis seiner Notwendigkeit schuldig. Er verprellte durch überzogene Eintrittspreise zusätzlich die Fangemeinde, sodaß gegen Rom 10.000 Plätze im Stadion leerblieben. Zudem verwirrte Ruhrpott-Kumpel und Trainer Gerland durch ungewöhnliche Aufstellungsvarianten die Gemüter. Der eigens für die Libero-Position für 1,2 Millionen aus Wattenscheid verpflichte Stefan Kuhn durfte keinen Libero spielen, und Gerland kreierte ein 3-6-1 -System.

Alle Versuche, die italienischen Spieler und Fans kurz vor dem Spiel durch Italo-Pop aus dem Stadionlautsprecher einzulullen, fruchteten letztendlich nichts. Bereits nach neun Minuten war klar, wer die Nase im Streit um die vielzitierte „Butter vom Brot“ vorne haben sollte. Rudi Völler freute sich, daß ihm sein Gegenspieler Heidenreich einen Augenblick lang völlig unbeachtet ließ, und erzielte das 0:1.

Franz Beckenbauer ließ sich zu dem Kommentar „ich weiß, was er kann“ hinreißen und sah bereits bis dahin - wie eigentlich in jedem Spiel - eine „hervorragende Begegnung“. Trotzdem sollten es sich die Verantwortlichen des Clubs einmal gut überlegen, ob sie dem Teamchef der Nation nicht doch endlich Stadionverbot erteilen sollten. Jedesmal, wenn Beckenbauer im Nürnberger Stadion weilt, verliert der Club.

Danach überraschte die zuletzt stark enttäuschende Club-Elf durch Kampfgeist, Spielwitz und hochkarätige Torchancen. Nachdem in der 19.Minute Giannini einen Schuß von Nürnbergs Kapitän Schwabl nur mit der Hand auf der Linie stoppen konnte, ließ Dieter Eckstein beim fälligen Elfmeter Torwart Tancredi nicht den Hauch einer Chance. Der Nationalstürmer, der standesgemäß zwei repräsentative Autos in seiner Garage stehen hat, jedoch selbst keinen Führerschein besitzt, wollte nach dem Spiel nicht verraten, welches Horrorvideo (am liebsten sieht er sich pro Tag drei an) sein Spiel beflügelt hat.

Ein weiterer Blackout der Nürnberger Abwehr schenkte den Römern schon eine Viertelstunde später die erneute Führung. Nach einem Eckball zog Linksaußen Policano aus 15 Metern ungestört zum 1:2 ab. Bis zum Pausenpfiff spielte dann nur noch Rom. Danach war es mit der römischen Fußballkunst vorbei. Nur mit Glück (zweimal Rettung auf der Linie, ein Pfostenschuß von Eckstein) überstanden sie die pausenlosen Angriffe des Club. Etwas Zählbares brachte Europas schnellster Angriff (Eckstein und Sane laufen jeweils die 100 Meter in ca. 11 Sekunden) jedoch nicht zustande.

In der Verlängerung standen dann 22 derart müde Kämpen auf dem Rasen, daß selbst der mehr über den Rasen rollende als laufende Altstar Bruno Conti mithalten konnte. Er gab dann auch die Vorlage zum alles entscheidenden 1:3.

Roms Trainer Liedholm -„Il Barone“ genannt - hatte es leicht, nach der Begegnung von einem schönen Spiel zu sprechen und den Nürnbergern zuzugestehen, auch ihre Chancen gehabt zu haben. Der enttäuschte Gerland begnügte sich mit der Weisheit, daß im Fußball nur die Tore zählen. Sichtlich sauer ist Arbeitersohn Gerland über derart millionenschwere Vereine wie den AS Roma. „Die können jeden kaufen, den sie wollen“ - und er habe nun mal keinen Conti oder Collovati auf der Ersatzbank.

Der in Bochum von seinen Gegenspielern als „eiserner Hermann“ gefürchtete Abwehrrecke Gerland beklagte in seiner Mannschaft mangelnde Tretkunst. „Wenn wir uns auf eigenem Platz treten lassen, sind wir selbst schuld.“ Man müsse dagegenhalten, „weinen nützt nichts“. Statt Tränen zu vergießen, ist in Nürnberg ab sofort „positives Denken“ angesagt. Mangels Sieg will man jetzt aus der Art der Niederlage („unglücklich“) das nötige Selbstvertrauen schöpfen.

Nürnberg: Köpke - Kuhn - Heidenreich, Dittwar - Dusend, Thomas Brunner (101. Türr), Philipkowski, Hans-Jürgen Brunner, Schwabl - Sane (78. Stenzel), Eckstein

Rom: Tancredi - Manfredonia - Tempestilli, Nela, Oddi Andrade, Desideri, Giannini, Policano (91. Conti) - Völler (140. Gerolin), Renato

Tore: 0:1 Völler (8.), 1:1 Eckstein (19./Hand11m), 1:2 Policano (34.), 1:3 Renato (92.)