Warnung vor genetischen Datenbanken der Polizei

Anhörung im Rechtsausschuß zu Genomanalyse in Strafverfahren / ExpertInnen äußerten massive Bedenken / Beschränkung des Einsatzes der Genomanalyse eines Verdächtigten nicht möglich / Datenschutzbeauftragter sieht keine Probleme  ■  Aus Bonn Oliver Tolmein

Erhebliche Bedenken gegen die Einführung der Genomanalyse ins Strafverfahren wurden am Mittwoch anläßlich einer Anhörung des Rechtsausschusses von ExpertInnen geltend gemacht. Vor allem der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler warnte, daß die Genomanalyse - sei sie erst mal als erlaubte Methode im Strafverfahren eingeführt Untersuchungen nach sich ziehen wird, die weit über die Frage der Identifizierung einer/eines Verdächtigen hinausgingen. Angesichts der Praxis und der Dynamik der gentechnischen Entwicklungen sei zu erwarten, daß innerhalb kurzer Zeit Genomanalysen auch eingesetzt würden, um die Schuldfähigkeit Beschuldigter zu untersuchen oder um die für die Strafzumessung wesentliche Sozialprognose zu erleichtern.

Indirekt wurde diese Befürchtung des Münchner Strafverteidigers vom Göttinger Arztrecht-Forscher Professor Deutsch bestätigt. Er wies darauf hin, daß es bei an Huntingtonscher-Chorea-Erkrankten in drei Verfahren nach vorherigen Verurteilungen zu Freisprüchen gekommen sei, nachdem ihre Krankheit bekannt wurde. In diesen Fällen hätte eine Genomanalyse schon die erste Verurteilung verhindern können. Diese Aussage steht in krassem Widerspruch zu sonstigen Behauptungen von GentechnikerInnen und PolizeiexpertInnen, die beteuern, für die Genomanalyse in Strafverfahren würden nur sogenannte nicht-codierende DNS -Sequenzen verwendet, die keine Aufschlüsse über Persönlichkeitsmerkmale oder Krankheitsveranlagungen zuließen. Hartmut Wächtler verwies in diesem Zusammenhang auf die Dynamik der Entwicklung in der Gentechnik und die bekannte Fehlerquote des derzeit zur TäterInnen -Identifizierung verwendeten, auf nicht-codierende Sequenzen beschränkten Untersuchungsverfahrens: „Es besteht demnach kein Zweifel daran, daß in Kürze gentechnische Methoden zur Verfügung stehen, die auch die codierenden Sequenzen des menschlichen Erbguts untersuchen.“

Wächtler bezeichnete auch die von der Enquete-Kommission Gentechnik vorgeschlagene Beschränkung des Einsatzes der Genomanalyse auf die Überführung von TäterInnen einer Straftat als unrealistisch. Die repressive und die präventiv -polizeiliche Arbeit werde in der Praxis nicht getrennt. Bei der heute üblichen erkennungsdienstlichen Behandlung werde regelmäßig mit der Notwendigkeit „vorbeugender Straftatbekämpfung“ argumentiert: „Die Einführung der Genomanalyse begrenzt auf die Zwecke der Strafverfolgung und auf den Personenkreis des Beschuldigten wird daher aller Erfahrung nach keineswegs garantieren, daß die Polizei nicht gleichwohl die einmal erhaltenen Daten auf Vorrat speichert und nach ihren eigenen Kriterien verarbeitet. Es wird zum Aufbau genetischer Datenbanken der Polizei kommen, auch wenn es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt, ebenso, wie es zum Aufbau von polizeilichen Datenbanken über personenbezogene Daten ohne gesetzliche Grundlage gekommen ist.“

Der neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz jedenfalls wird dem nichts entgegensetzen: Er erwies sich neben dem Vertreter des Bundeskriminalamtes als der unkritischste aller ExpertInnen und mochte weder gegen die Genomanalyse zur Unterstützung von Fahndungsmaßnahmen noch zur Genomanalyse zu Verwandtschaftsnachweis und noch nicht einmal gegen Genomanalyse zur Persönlichkeitsbeurteilung grundätzliche Einwände vorbringen. Lediglich für die Feststellung der „Glaubwürdigkeit im Strafverfahren sind nach mir zugänglichen Erkenntnissen genomanalytische Verfahren zumindest gegenwärtig nicht geeignet“. Da war der Vorsitzende Richter am Landgericht München I, Professor K.H.Gössel - gewiß kein Liberaler - geradezu ein Ausbund an Kritik, als er, nach mehrmaliger Betonung, wie tief genetische Analysen in die Persönlichkeitsrechte eingreifen, wenigstens umfassende und strikte Datenschutzregelungen für die so gewonnenen Erkenntnisse forderte.