„Festgezimmertes Weltbild“

■ taz-Gelegenheitsarbeiterin Gaby Mayr zum taz-Klauen für geborenes Leben

Eine Frauengruppe zum Schutz des schon geborenen Lebens hat Montag nacht mehrere Stapel tazzen enführt, bevor der Trägerdienst sie in die Briefkästen der AbonnentInnen stopfen konnte. Die nachgeschobene Begründung der Lebensschützerinnen für Geborene: Die als Lebensschützerin für Ungeborenes bekannte CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karin Stieringer hatte für diese Nummer der Lokal-taz als Eintags -Chefredakteurin gewirbelt (vgl. Bekennerinnenschreiben in der taz v. 13.10).

Die Aktion von Räuber-und-Gendarm-Format war allerdings ein Rohrkrepierer. Denn der sogenannte Lebensschutz, Propaganda für die Demontage der geltenden Abtreibungsregelung, fand in der Stieringer-taz nicht statt. Die Christdemokratin für das Leben hat nicht versucht, ihr Parade-Thema ins Blatt zu hieven.

Stattdessen standen in der Stieringer-taz zwei bemerkenswerte Artikel: „Aufmacher“ auf der „aktuellen Seite“ war der Bericht einer taz-Praktikantin über Sterben im Krankenhaus, in der sie beispielsweise die elenden Sterbeecken den pflanzengeschmückten Geburtszimmern gegenüberstellte, deren angenehme Atmosphäre dafür sorgen soll, daß sich gebärende Frauen und unterstützende Väter oder Freundinnen möglichst wohl fühlen. Auf der Hintergrund -Seite plazierte Stieringer eine Umfrage unter Schwulen über deren Situation am Arbeitsplatz. Für manche Szene-Menschen vielleicht kalter Kaffee - aber es gibt glücklicherweise auch jede Menge taz-LeserInnen, die sich in dieser einen Szene nicht so gut auskennen.

Aber möglicherweise ging es gar nicht um die Inhalte der Stieringer-taz. Sondern um die Person Karin Stieringer. Eine Frau, nebenbei bemerkt. Eine Frau, die in puncto Abtreibung eine frauenfeindliche Position vertritt. Und in anderen Fragen Meinungen vorträgt, deren Fortschrittlichkeit bei einem CDU-Mitglied überraschen (z.B. Datenschutz) und von allgemein-menschlicher Qualität sind (z.B. Homosexualität, Aids). Also eine Frau, die aus dem allersimpelsten Raster, wie eine Reaktionärin auszusehen hat, rauskippt.

Deshalb hat die taz sie als Eintags-Chefin eingeladen. Für solche Abweichungen vom festgezimmerten Weltbild hat sich die Frauengruppe zum Schutz des schon geborenen Lebens leider nicht empfänglich gezeigt.

Dazu kommt ein zweiter Mangel der Aktion: Frauen (und vor allem Männer) mit frauenfeindlicher Position in der Abtreibungsfrage gibt es nicht zu knapp. Und die äußern sich auch zu diesem und zu jeder Menge anderer Themen im Weserkurier und Bild, im Stern und im Bayernkurier. Es gäbe also haufenweise Zeitungsstapel zu klemmen. Aber das wäre mühsam. Frau müßte sich auf fremdes Terrain wagen und nicht nur um die Ecke gehen.

Das scheint überhaupt in einer bestimmten Bremer Szene einzureißen: Daß man und frau lieber den politischen Verwandten eins überbrät (z.B. Sprengung einer von Anti-IWF -Gruppen organisierten Veranstaltung durch andere Anti-IWF -Gruppen), als den politischen GegnerInnen Dampf zu machen.

Gaby Mayr, gelegentliche taz-Schreiberin