Grünes Geld für „soziale Erwägungen“

Der Vorstand übernimmt politische Verantwortung für Finanzmanipulationen beim Umbau von Villa Wittgenstein  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Parteivorstand der Grünen hat gestern erstmals die „volle politische und arbeitsrechtliche Verantwortung“ für die Verstöße gegen Steuer- und Sozialgesetze beim Umbau der Parteivilla Haus Wittgenstein übernommen. Damit werde den Parteigremien anheim gestellt, „notfalls eine Abwahl“ zu fordern oder eine „Rüge“ auszusprechen, erläuterte Vorstandssprecher Christian Schmidt den Beschluß. Vier Monate, nachdem durch den 'Spiegel‘ bekannt wurde, daß Lohnabrechnungen für das Finanzamt frisiert wurden, bekannte sich der Vorstand jetzt zu „sozialen Erwägungen“ bei diesen Manipulationen: Man habe verhindern wollen, daß den hochverschuldeten Ex-Junkies, die in Wittgenstein als Aushilfskräfte arbeiteten, ein über die 440-Mark-Grenze hinausgehender Lohn weggepfändet werde. Christian Schmidt: „Wir wollen das nicht propagieren, aber für uns Grüne ist so etwas nicht ehrenrührig, keine moralisch schlechte Handlung.“ Jutta Ditfurth: „Die Grünen sind nach wie Fortsetzung auf Seite 2

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vor so etwas wie ein Alternativbetrieb. „Dazu gehöre, daß manches anders ablaufe als in Bürokratien oder kapitalistisch durchrationalisierten Unternehmen. „Insofern werden wir für spießbürgerliche Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker dauerhaft Stein des Anstosses sein.“ Aus dem Bericht einer parteiinternen Untersuchungskommission, der vom Vorstand gestern vorgestellt wurde, geht hervor, daß Schatzmeister und Bundesgeschäftsführer „grundsätzlich Kenntnis über die Vorgänge in Haus Wittgenstein“ hatten. In welchem Umfang die beiden direkt über Manipulationen informiert waren, „konnte die Kommission nicht ermitteln“, heißt es in dem Bericht lapidar. Fest stehe aber, daß seit 1985 „Beschäftigungszeiten gestreckt“ wurden und auch Abrechnungen für Personen erstellt wurden, die auf der Baustelle gar nicht gearbeitet hatten. Keine Anhaltspunkte, so das fünfköpfige Prüfgremium, habe man für die übrigen „Bereicherungs„-Vorwürfe des 'Spiegel‘ gegen grüne Funktionäre gefunden. Auch die Behauptung, im Rahmen der Hoechst-Kampagne seien von Ditfurth oder Zieran Anträge und Beschlüsse manipuliert worden, werde durch die Recherchen widerlegt.

Als „sachlich falsch“, „ungeheuerlich“ und „schädlich für die Partei“, wies Vorstands-Sprecher Schmidt gestern die in der taz dokumentierten Anschuldigungen von Lukas Beckmann zurück. Entgegen dessen Behauptungen habe der Vorstand keinen Druck auf die Untersuchungskommission ausgeübt. Beckmanns selbst meinte gestern, die Kommission habe im Rahmen ihres Auftrags - nur die 'Spiegel'-Vorwürfe zu untersuchen - „fundiert“ gearbeitet. Daß der Vorstand jetzt endlich die politische Verantwortung übernommen habe, schaffe „große Erleichterung“. Seine weitergehenden Vorwürfe, wie die Beeinflussung von Zeugen und Beschäftigten durch den Vorstand, seien von dem Kommissionsbericht aber noch nicht berührt. Anders als in der taz gemeldet konnte Beckmann doch vor der Kommission aussagen.