Sprachkenntnisse in Alternativisch

■ Beim kritischen Durchstöbern dreier Bücher über die Alternativbewegung kam fast so etwas wie ein Rückblick auf sie heraus

Was stirbt, ist nicht die alternative Öffentlichkeit, sondern das Verrückte in ihr. Doch stellen wir erst einmal die drei Welten der sozialen Bewegungen, der Subkulturen und der Medienerneuerer genauer vor, in drei Büchern mit ganz ähnlichen Titeln: Alternative Öffentlichkeit heißen gleich zwei, von Hadayatullah Hübsch vor acht Jahren, aber höchst aktuell und dringend neuauflagebdürftig, und von Karl -Heinz Stamm, frisch erschienen; Die andere Medien-Theorie und Praxis alternative Kommunikation von Kurt Weichler kam 1987 heraus. Vielleicht läßt sich produktive Sprachverwirrung als geheimes Lernziel alternativer Kommunikation damit besser begreifen. Für eine Sprache der sich Suchenden

Hadayatullah Hübschs sprachverliebte Einfühlung in Nickelbrillen und Hennahaare:

Diese Kulturglosse von gut hundert Seiten führt erst einmal durch die Teestuben und die Kneipen, läßt das Feeling der ersten alternativen Läden der siebziger Jahre, der Wohngemeinschaften und Landkommunen wiedererstehen, amüsiert sich mit der LeserIn über Gesten und Buttons, Projektemacherei und Kleinanzeigen, bis man schießlich leicht auch zu den Medien kommt. Ohne auch nur einen Augenblick die „primäre“ Kommunikation, wo mensch sich sieht und ansprechen oder anfassen kann, gegen die „sekundäre“, technisch vermittelte, auszuspielen, wie es die kulturpessimistischen Prediger in vielen unsäglichen „Neue Medien„-Debatten zu tun pflegen, macht Hübsch klar, wie dicht und differenziert der Unterbau von menschlicher Nah -Kommunikation sein muß, damit schließlich auch ein kleines, aber immerhin schon Massen-Medium wie die taz über ein derart hohes Maß an Vor-Verständigung verfügen kann, daß es nicht in die hohle Formelsprache der Anonymitäts-Medien der universalen „Mitte“ verfallen muß. Hübsch ist literarisch orientiert, darum kann er die technischen Medien nicht abqualifizieren, ein Büchernarr grübe sich selbst damit das Wsser ab. Er ist aber auch in dem Sinn literarisch orientiert, daß er die reine Protest-Politik (was später „soziale Bewegungen“ heißen sollte) als Spiegelbild der herrschenden Politik betrachtet: nur als „andere“ Öffentlichkeit, als Öffentlichkeit „abseits“ vom Etablierten, und eben nicht als „Anti„- als Gegenöffentlichkeit hätte die alternative Szene ihre intensive persönliche Experimentierfreudigkeit der Sinn -Suche entfalten können.

Und da muß wohl was dran sein, wenn Hübsch die ganze Galerie der Verrückten an uns vorüberziehen läßt: V.O. Stomps mit seiner „Eremiten-Presse“ der handgemachten Bücher, Josef Wintjes mit seinem 'Ulcus Molle Info‘, was ja nichts Netteres als „Magengeschwür“ heißt, Raymond Martin mit seinen gelackten Edelporno-Comics, den Maro-Verlag mit Charles Bukowski, Suff-Wahrsager aus Kalifornien, den verkrachten Adorno-Schüler Hans Imhoff, den „Kompost„ -Verleger und nachmaligen Propagandisten von Computersoftware und „Scheiß-Büchern“ Werner Pieper - und wie sie alle heißen, bis zu Karl Napps Chaos-Theater geht die Reihe. Hübsch erwähnt weder die marxistisch -leninistischen Parteiaufbauer noch die Kommandosprache unserer „bewaffneten Kräfte“, aber die Botschaft ist deutlich: Entscheidend sind die „emotionalen Argumente“, wie er mit deutlichem Seitenhieb gegen den Totalitarismus nur verbaler Vernunft sagt.

Hübsch überzieht seine Demonstration aufs drolligste, und davon kann der Co-Autor dieser Kritik ein Lied singen, indirekt persönlich betroffen, sozusagen. Denn aus dem Frankfurter 'Pflasterstrand‘ von 1979 zitiert Hübsch die Kleinanzeige:

„Dringend. Bin neu hier (seit Juli) u. blicke nicht richtig durch. Suche daher jemand, der mir mögl. schnell Sprachkenntnisse in Alternativisch beibringen kann. Katharina, Tel. 74 97 64“.

Und nimmt sie zum Eckstein seiner These von der „Auflösung des Ego als Voraussetzung der alternativen Szene“. Wohlfeiler Beleg, denn Katharina, Tochter des Co-Autors, war damals genau 38 Tage alt und in der Sinn-Suche von dem Wohngemeinschaftsscherz noch gänzlich unbehelligt. Skeptisch gegenüber der Wurstelei

Für Weichler, der aus der nordrhein-westfälischen Alternativzeitungsszene kommt, ist alternative Öffentlichkeit zunächst einmal Demokratisierung nach außen und nach innen. Überraschend für die LeserIn, führt er die Geschichte der offenen Medien auf die russischen Agitprop -Filmemacher zurück, die nach der Revolution von 1917 durchs Land zogen und die Alltagsrealität vor allem der Bauern zum darstellungs- und diskussionswürdigen Medienthema nahmen. Demokratisierung nach innen wird abgehandelt als die harte Geschichte der Kollektive, die an unbegriffener Gruppendynamik und äußerem Realitätsdruck gleichermaßen leiden und schließlcih per Auflösung oder Anpassung zugrunde gehen. Wichler setzt sich mit all dem auseinander, was romantische oder politstrategische Abhandlungen gerne unter den Teppich kehren: die Mühen der Arbeitsteilung, die Fragen des Qualifikationserwerbs, die Tücken der Werbung, der Kampf ums Geld. Die Ehrlichkeit und Nüchternheit des Buches ist wohltuend westfälich, doch führt die Argumentation in eine ressentimentgeladene Stimmung mit nörglerischem Unterton, gerade als sei es erstaunlich und verwerflich, daß alternative Medien den Strukturen der kapitalistischen Warenökonomie unterliegen - und nicht umgekehrt erstaunlich und bedenkenswert, daß sie sich gründen und - mit welchen Abstrichen und Abgängen auch immer - für prägende Zeiträume bestehen können. Weichlers Pessimismus, daß selbstverwaltete Medienstrukturen dazu verurteilt seien, klein zu bleiben und in Reichweite der Reduktion zum Hobbybetrieb ein marginales Dasein zu führen, ist zu pragmatisch, um aufklärerisch zu sein: Weder wird ein relativ „großer“ Medienbetrieb wie die taz auf diese Weise erklärt (ja natürlich, in the long run geht auch die taz den Weg alles Irdischen, aber so ergeht's auch Wichler, Bartscher und Herding), noch wird die informell wuselnde, stark fluktuierende Vernetzung der vielen kleinen Medien als ungeplante Expansion gewürdigt.

Weichler ist absolut modern insofern, als er alle Mediensparten einbezieht, also auch die Freien Radios und die Videogruppen; es ist ja schon fast peinlich, wie konservativ reduziert auf die gedruckten Medien sonst der Begriff der alternativen Öffentlichkeit gefaßt wird. Der letzte Teil seiner Arbeit ist ein umfassendes Adressenverzeichnis, die Chips haben gut geknistert - wenn nur die blitzschnelle Fluktuation in der alternativen Medienszene nicht wäre, die eine solche Übung bald veralten läßt. Gegen den Raubbau an unserem schönsten Traum

Mit Karl-Heinz Stamms enthusiastischer Kritik und strenger Ermutigung der alternativen Öffentlichkeit liegt eine Geschichte der gedruckten Medien der westdeutschen Linken (nicht der Frauen - dieses Buch sollte schnellstens geschrieben werden) für die letzten zwanzig Jahre vor. Von den Flugblättern und Untergrundpostillen der Studentenbewegung über die vielen bunten Alternativblätter der „Szene“ seit den siebziger Jahren bis zum Großprojekt tageszeitung geht die Reise, mit lehrreichen Aufenthalten bei der Öffentlichkeitspraxis der marxistisch-leninistischen Kaderparteien, der bewaffneten Gruppen, der Bürgerinitiativen, der Friedensbewegung und der Grünen. Die Öffentlichkeit von Anwesenden (Wohngemeinschaftsküchen, Teach-ins etc.) wird mit einbezogen, allerdings fehlen die Freien Radios und die Videogruppen. Immerhin ist das Konzept, primäre und sekundäre Öffentlichkeit zusammen als Ausdruck sozialer Bewegungen zu verstehen, auch für eine Analyse über die gedruckten Medien hinaus tragfähig.

Das Buch hat eine klare These, an der mann/frau sich reiben kann: Für Stamm ist das Neue, das Sensationelle, das hoffentlich Bleibende oder jedenfalls Erhaltenswerte an alternativer Öffentlichkeit - und zwar gerade als Öffentlichkeit sozialer Bewegungen -, daß das Private politisch, also öffentlich wird. Das macht Öffentlichkeit „authentisch“, womit das Gelingen des Versuchs gemeint ist, die herrschaftsstabilisierende Spaltung zwischen denen, die Erfahrungen machen, und denen, die sie in mediale Darstellung umsetzen, zu überwinden. Die Rolle des Citoyens, charmant charakterisiert als „Ehemann, Vater, Mutter oder was auch immer“, wird in der bürgerlichen Öffentlichkeit ausgeklammert, in der „authentischen“ gehört sie entscheidend zur radikal-subjektiven Themensetzung dazu. Von sich selber reden lernen, darum geht es.

Drittens ringt das Buch zäh und vorsichtig, als wolle es die alten Meister nicht ersticken, mit den metaphorish -marxistischen Medientheorien von Oskar Negt und Alexander Kluge. Die beiden hatten 1974 die Vision einer Öffentlichkeit, in der das „Private“, nämlich Produktion und Sozialisation (oder Fabrikarbeit und Kinderverprügeln) nicht ausgeklammert wird, auf den Namen „proletarische Öffentlichkeit“ getauft. Der Theorieanstrengung und dem Zeitgeschmack der frühen siebziger Jahre, vor der Ökologiebewegung, entsprach das gerade noch, und Stamm erbte damit die unendliche Mühsal, mit einer Weltgeschichte ins reine zu kommen, die nicht der historischen Arbeiterklasse, sondern den neuen Mittelschichten eine zeitweise glückliche Annäherung an diese Öffentlichkeitsvision gegönnt hat (sicher nicht zuletzt deswegen, weil sie wenig Fabrikarbeit und Kinderverprügeln zu erdulden hatten). Die Negt-Klugesche Utopie, die für die Revolution ganz gewiß auch die Umwälzung der realen Arbeiter mit einschloß, hätte das im Grunde nicht angefochten. Aber Stamm nimmt die Last der Begriffe ernst, und er hilft sich zögernd, indem er die nichtproletarischen Milieus und Bewegungen all dieser WuslerInnen bei Software und Kultur, Ausbildung und Medien, Therapie und Werbung als „kommunikative Klasse“ - niemals ohne Gänsefüßchen benennt, wobei es offen bleibt, ob sie sich in der Jahrtausendperspektive zum Proletariat oder zum Kapital schlagen mögen. Immerhin: Der Anspruch auf Klassenanalyse, die Absicht einer Gesellschaftstheorie auch im „ökologischen Zeitalter“ ist markiert.

Stamm war beim 'Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten‘, dem Ur-Basis-Blatt der siebziger Jahre, dann bei der taz Macher und kritischer Beobachter gleichzeitig, bevor er nach einer Lehr-Zeit am Institut für Publizistik der FU Berlin Vater und freischwebender Publizist wurde. Vielleicht gerieten die Analysen der Wochenzeitung 'ID‘ und der taz deshalb in eine Atmosphäre des Gefühlsüberschusses, wie sie enttäuschten Liebhabern eigen ist.

Einen Fehler hat das Buch: Es fehlt ein nachdrücklicher Begriff vom freien, öffentlichen Medienzugang, vom public access, wie es in der kritischen Medienpraxis der USA heißt. Eine direkte, wirksame (nicht bloß scheinhafte) demokratische Beteiligung unterprivilegierter Personen, Gruppen, Interessen an der Medienkommunikation zu ermöglichen - dieses Ziel beschwört Stamm wohl, mit Brecht ist er einig: Aus jedem Empfänger müsse auch ein Sender werden können. Aber wenn es nur um den freien Zugang der bislang unterdrückten „privaten“ Erfahrungen der mediennahen neuen MittelschichtlerInnen geht, wie ist es mit den Knackis, Irren, Bauern, wilden StreikerInnen, auf die der Autor ja gerade beim 'Informations-Dienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten‘ gestoßen war? Wenn verschiedene Milieus aufeinandertreffen, wie läßt sich da eine Zugang eröffnende, nicht ausgrenzende Redaktion vorstellen? Stamm spricht vom „fetischisierten Agenturanspruch“, gar von „Altruismus“, formuliert aber nicht den Anspruch auf direkten Medienzugang. Dabei würde sich dieser Begriff in sein Erfahrungskonzept ganz glücklich einfügen. Übers eigene Getto hinauszukommen scheint der „kommunikativen Klasse“ nicht leichtzufallen.

Die linke/grüne/alternative politische Kultur wird von Stamm heftig und mit Recht wegen der Apathie kritisiert, mit der sie den Erosionsprozessen der alternativen Öffentlichkeit zuschaut, anstatt die nötigen Infrastruktureinrichtungen (für Ausbildung, Recherchen, Medienkritik, Repressionsschutz usw.) als Gemeinschaftsaufgaben anzupacken. Auf Ökologisch würde man das Raubbau nennen.

Bleibt anzumerken, daß der Campus-Verlag zu diesem Buch noch mehr zu beglückwünschen wäre, hätte er dem Ansturm der Druckfehler (besonders ärgerlich bei Autoren-Eigennamen und verloren dümpelnden Fußnotennummern) heldenhafter widerstanden.

Sibylle Bartscher und Richard Herding ('ID‘, Frankfurt)

Hadayatullah Hübsch: Alternative Öffentlichkeit - Freiräume der Information und Kommunikation. Frankfurt, Fischer Taschenbuch 1980, 149 Seiten.

Kurt Weichler: Die anderen Medien - Theorie und Praxis alternativer Kommunikation. Berlin, VISTAS Verlag 1987, 601 Seiten, 74,- Mark.

Karl-Heinz Stamm: Alternative Öffentlichkeit - Die Erfahrungsproduktion neuer sozialer Bewegungen. Frankfurt/New York, Campus-Verlag 1988, 304 Seiten, 38, Mark.