Ein deutscher Autor?

Beate Kirchenmaier sprach mit Jean Amerys Witwe und Irene Heidelberger-Leonhard, die sich um die Edition seiner Werke kümmert  ■ I N T E R V I E W

taz: Jean Amery kam aus dem KZ zurück und hat dann doch in deutscher Sprache - zwar nicht in Deutschland selbst, aber doch für den deutschen Sprachraum - publiziert. Hat er sich darüber geäußert?

Madame Amery.: „Ich will mit Deutschland und Österreich nichts zu tun haben. Ich schreibe nur für die Schweiz.“ Wiewohl es für uns schrecklich war, denn das ging über eine Presseagentur, die ein Drittel des Honorars für sich zurückbehielt. Es vergingen fast 20 Jahre, in denen Amery nur für die Schweiz schrieb, alles mögliche, was immer man auch bei ihm bestellte: eine große Serie über Lola Montez, über Churchill oder ähnliches, was man halt bei ihm bestellte. Er wollte mit Deutschland nichts zu tun haben und mit Österreich auch nicht. Es war dann erst Heißenbüttel, der einmal hier im Goethe-Institut gelesen hat. Da kam eine Annäherung zustande, und Heißenbüttel sagte, ich bin nicht nur Lyriker, ich bin auch Chef vom Feuilleton im Süddeutschen Rundfunk. Ja, schreiben Sie doch etwas für mich. Und da hat der Amery gesagt, ich kann jetzt, wenn ich was schreibe, nur über Auschwitz schreiben. Da entstand dieser erste Essay An den Grenzen des Geistes.

Irene Heidelberger-Leonhard: Amerys Aufsatz Wieviel Heimat braucht der Mensch? beschäftigt sich wesentlich mit dem Problem der Sprache. Diese Nicht-Schwierigkeit Amerys mit der Sprache - darauf wollten Sie eigentlich hinaus, nicht wahr? - das ist eben seine Enklave. Das ist das einzige, das ist die Heimat, die er mitnimmt, und die bleibt ihm als Anachronismus auch erhalten. Seine Sprache ist ja eine anachronistische Sprache, die er dann auch noch anlehnt an Flaubert. Das kann eigentlich nur er so gut, weil sie schon im Ansatz, finde ich, eine unzeitgenössische Sprache ist. Es ist, glaube ich, keine bewußte Protesthaltung, sondern mehr eine Gefühls-Überlebensstrategie: Das ist meine Sprache, und mit der stelle ich mich auch dem Publikum. Insofern war es schon ein Problem, er hatte das Bewußtsein seiner Unzeitgemäßheit. In dem Band Über das Altern spricht er von dem kulturellen Altern. Ich glaube, daß dieses kulturelle Altern auch in seiner Sprache enthalten ist. Aber es ist letztlich mehr eine Stärke als eine Schwäche.

Mme. A.: Ganz richtig. Er pflegte dieses Deutsch.

I. H.-L.: Ja, aber er wußte, daß es ein Anachronismus war, und hat dann diesen Anachronismus politisch investiert.

Und doch schreibt er ja in einem seiner letzten Briefe, ob es nicht eine Art Schicksalsirrtum gewesen sei, nicht ein französischer Schriftsteller geworden zu sein.

Mme. A.: Jaja, das war sein Wunsch, weil er sich sehr viel mit Frankreich beschäftigte. Frankreich trat auf den Plan, als er aus dem KZ kam. Alles verschlang er, er verehrte Sartre und die Franzosen, die damals in aller Munde waren. Aber es blieb immer ein Wunsch. Denn Sie können ja nicht eine Sprache schreiben, bei der Sie keine Referenzen, keine Assoziationen zu der Vergangenheit haben. Es blieb ein Wunsch.

I. H.-L.: Völlig irreal. Es gibt wenige Menschen, die so stark in der österreichischen Kultur und Sprache verankert waren wie Amery.

Mme. A.: Ja, ganz richtig. Sogar zu Thomas Bernhard möchte ich sagen ...

I. H.-L.: Ein völliges Mißverhältnis. Ich glaube, Bernhard hat den Amery absolut nicht verstanden.

Mme. A.: Naja, das wußte der Amery nicht, ob der Bernhard ihn versteht. Nein, es ist ja so, bei Thomas Bernhard wachsen in einem die Widerstände gegen alles, was er sagt. Nein, also man kann krank sein vor Widerwillen gegen dieses Land, sofern man ihm angehört.

I. H.-L.: Man kommt nicht los von ihm.

Mme. A.: Ganz richtig, aber auf eine vertrackte Weise liebt man es. Das war, das ist ein Bekenntnis quasi.

I. H.-L.: Ja. Bei der Bachmann ist das noch viel deutlicher.

Mme. A.: Ja, weil sie „Rösser“ sagt, das Roß, nicht das Pferd, und solch wirklich Österreichisches, und altes Österreichisch. In unserer Zeit hat man auch nicht mehr gesagt: Ein Roß ist da auf der Straße.

I. H.-L.: Ich meine, daß auch seine Verehrung für Frankreich - ich glaube schon, daß ich das gewissermaßen beurteilen kann, denn ich bin ja auch zweisprachig aufgewachsen - die Verehrung eines Österreichers für Frankreich ist. Auch sein - ich will ihm damit keineswegs Abbruch tun, ich will nur sagen, daß auch sein Französisch, so Argot-mäßig es sich auch gebärdet - mich irgendwo etwas peinlich berührt hat.

Mme. A.: Ja? Soso. Naja, das kommt von seiner Lektüre, 'Nouvel Observateur‘ und 'Le Monde‘ und was da noch alles ...

I. H.-L.: Man spürt den Österreicher in seinem französischsten Französisch.

Mme. A.: Ja, Sie spüren ihn.

I. H.-L.: Es ist wirklich eine Beschwörung. Es ist keine zweite Haut. Es ist eine Sehnsucht. Und die Distanz bleibt erhalten.

Mme. A.: Wahrscheinlich haben Sie recht.

I. H.-L.: Und ich glaube, in dem Sinne muß man auch diesen Satz lesen. Es ist wirklich eine ganz irreale Vorstellung, die des unmöglichen Neuanfangs: Ich bin eben kein französischer Schriftsteller geworden, und deshalb kann ich nicht noch mal anfangen. Also man kann diesen Satz auch umkehren. Der Satz heißt doch: Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich ein französischer Schriftsteller geworden wäre. Und der „Lefeu“ ist natürlich diese Wunschbiographie, nicht. Aber was hat der für'n Leben? Ich meine, im Grunde ist der „Lefeu“ ja die Antwort auf diesen Wunsch. Er ist dieser französische Künstler geworden und endet ja auch in seiner Selbstauslöschung.

Amery war ein Schriftsteller, der die Ratio immer in den Vordergrund gestellt hat.

Mme. A.: Ja, ja. Logik, Ratio, alles das. Nur keine Metaphysik, nur keine Schmonzes, wie er gesagt hat.

Mit dem Wort Schicksalsirrtum wird doch aber ein sehr irrationales Element angesprochen.

Mme. A.: Naja, Sie sehn das, man schreibt manchmal etwas Poetisches. Und das ist ein bißchen poetisch. Schicksalsirrtum, daß ich überhaupt da bin in Auschwitz. Ich meine, es wird nicht erläutert, was damit gemeint ist. So wie man das Überstehen nicht überstehen kann, so ist der Schicksalsirrtum der, daß ich da bin. Ich hätte schon vorher vielleicht was unternehmen sollen, ja? Das weiß ich nicht genau.