Voscherau will die Macht nicht teilen

■ Dem Hamburger Bürgermeister sind Hafenstraße und FDP ein Dorn im Auge

Krampfhaft versucht Hamburgs ehrgeiziger Jung-Bürgermeister Henning Voscherau, sich aus dem Schatten seines Vorgängers zu lösen. Dabei wirft er Klaus von Dohnanyis politisches Erbe unbekümmert über Bord: Voscherau möchte nach der nächsten Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit im Rathaus und - möglichst schon morgen - die Räumung der Hafenstraße. Sein mächtiger Waffenbruder bei beiden Zielen: die Springer -Presse der Hansestadt, die nicht müde wird, Voscheraus Law and Order-Ambitionen zu lobpreisen. Mit Erfolg: Die neuesten Umfragen bescheinigen Voscherau Popularität. Doch nicht nur wegen der Springer-Unterstützung runzelt die Bonner SPD -Zentrale mißbilligend die Stirn. Die mühsam von Dohnanyi eingefädelte und ausgehandelte Hamburger SPD/FDP-Koalition darf nicht aufs Spiel gesetzt werden - gilt sie doch als Modell über Hamburg hinaus, für eine politische Zukunft nach Kohl. Da würde eine absolute SPD-Mehrheit an der Elbe eher stören.

Wenn in den Sitzungen der Hamburger Landesregierung der Punkt „Verschiedenes“ aufgerufen wird, kommt Leben in die Bude. Vor allem, wenn die Tagesordnungsregie das Thema Hafenstraße dahinter versteckt hat. Dienstag war es wieder einmal so weit, und einige Senatoren hatten bereits mit geballter Faust in der Tasche darauf gewartet. Denn: Obwohl ursprünglich erst an diesem Tag darüber beraten und entschieden werden sollte, ob dem Verein Hafenstraße wegen Verletzung des Pachtvertrages eine Abmahnung zugestellt werden sollte, hatte Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) im Zusammenspiel mit seiner Rathaussenatorin Elisabeth Kiausch (SPD) bereits Fakten gesetzt.

Kiloschwere Berichte über mögliche Vertragsverletzungen, die Voscherau zuvor von den verschiedenen Behörden hatte erstellen lassen, gaben für eine Abmahnung nichts her. So mußte eine kurzzeitig am Baugerüst eines der Häuser befestigte Stacheldrahtrolle für diesen Schritt herhalten. Doch noch am Vorabend der Senatssitzung fingen sich Voscherau und Kiausch eine Ohrfeige ein, von der sie sich bis Sitzungsbeginn nicht erholten. Der Vorstand der stadteigenen Lawaetz-Stiftung, sie fungiert als Vermieterin der ehemals besetzten Häuser und müßte die Abmahnung ausstellen, feuerte den Antrag in den Papierkorb einstimmig, also mit Unterstützung der Senatsvertreter. Noch dazu wollte der honorige ehemalige Staatsrat Heinz Liebrecht (FDP), der für den Senat im Vorstand des Vereins Hafenstraße sitzt, in einem Interview „die große Gewalt in der Hafenstraße nicht sehen“ und verwies auf Mord und Totschlag in den übrigen Gassen St.Paulis. Kleinlaut legte Voscherau dann während der Kabinettssitzung seine Abmahnungspläne auf Eis - nicht ohne anzukündigen, daß man künftig mehr „auf den Wähler hören müsse“, wenn schon juristisch nicht viel auszurichten sei.

Im Regierungsflügel des Rathauses stellt man sich dennoch weiterhin die Frage, was Voscherau dazu treibt, trotz fehlender Vorkommnisse am Hafenrand eine derart harte Linie einzuschlagen - noch dazu im Alleingang und auf Kosten einer möglicherweise tiefgreifenden Koalitionskrise.

„Voscherau will sich profilieren, will sich aus dem übermächtigen Schatten seines Vorgängers Klaus von Dohnanyi lösen“, lautet die meistgehörte Antwort. Und da er dem „Kulturmenschen Dohnanyi“, dem „Visionär“ mit Hang zu großen Entwürfen nicht das Wasser reichen könne, versuche er, in der Hafenstraßen-Frage den knallharten Politiker zu markieren - und nach der Bürgerschaftswahl 1991 das zu erreichen, was Dohnanyi nur einmal, 1983, gelang: die absolute Mehrheit für die SPD zu erringen.

Damit würde Voscherau sich einen alten Traum erfüllen. Sozialdemokratische Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen erinnern sich noch bestens daran, wie ihr damaliger Fraktionschef des öfteren theatralisch die Augen verdrehte, wenn um die Inhalte der künftigen, sozialliberalen Regierungspolitik gerungen wurde.

Eine jetzt veröffentlichte Infas-Studie scheint Voscheraus Weg zur absoluten Mehrheit zu bestätigen. Seine Law and Order-Politik gegenüber der Hafenstraße und anderen bunten Regungen in dieser Stadt hat zu erdrutschartigen Verlusten der CDU geführt, während die SPD bei etwa 46 Prozent eine einsame Spitzenstellung hält. Und noch etwas aus dieser Studie dürfte ihn befriedigen: Während Dohnanyis Politik von lediglich 24 Prozent der Befragten für richtig erklärt wurde, stellen die Befürworter von Voscheraus Amtsführung schon gut ein Drittel. Umgehend - kein Regierungsmitglied außer dem Ersten Bürgermeister hatte die Studie zu Gesicht bekommen - stand dieses Ergebnis im 'Hamburger Abendblatt‘ des Springer-Konzerns, der Voscherau eifrig sponsort. Der Kommunalpolitik-Chef der Hamburger 'Bild'-Ausgabe seinerseits, ein langjähriger Intimfreund Voscheraus, war zu diesem Zeitpunkt mit einer aufwendigen Jubelserie über Privatmann und Politiker Voscherau beschäftigt - Titel: „Hamburgs Nr.1 - Bürgermeister Voscherau, wie ihn keiner kennt.“

So gut wie 'Bild‘ und 'Abendblatt‘ kenne ihn wirklich keiner, lästern Genossen bereits. Schon kursieren die ersten „Henning-Witze“ in der Partei. Etwa: „Warum wird Voscherau von Tag zu Tag größer? Weil er sich täglich eine neue 'Bild‘ -Zeitung unterschiebt!“ Da lacht der Mittelbau der SPD, und die Hamburger taz-Redaktion könnte fast schon einen Sammelband derartiger Sprüche herausgeben.

Das Zusammenspiel zwischen der Springer-Presse und Voscherau klappt auch in Sachen Hafenstraße bestens: „Reicht das jetzt?“, fragt das 'Abendblatt‘ - und wetzt die Messer -, prompt läßt Voscherau die Abmahnung rausschicken. Sein Vorvorgänger Hans-Ulrich Klose (jetzt SPD-Schatzmeister), dem dieses Gebahren selbst im fernen Bonn Bauchgrimmen bereitet, wusch dem Regierungschef denn auch kürzlich indirekt den Kopf, als er den Springer-Verlag für mitverantwortlich erklärte an der „Unregierbarkeit Hamburgs“.

Axel Kintzinger