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ÜBER STOCK UND STEIN

■ Mountain-Bikes: Alpentraum oder Alpentrauma?

Raffinierte Technik für Gipfelstürmer“, „Für Fahrten über Stock und Stein zuverlässig“, „Das Abenteuer spüren und fühlen“. Mit diesen Slogans hat sich die Fahrradindustrie ihre Klientel untertan gemacht, wirbt sie für das neuste Produkt auf dem Markt, das Mountain-Bike (MTB). Es lohnt sich für die Herstellerfirmen. Das Moutain-Bike, vor zehn Jahren in den USA konzipiert, vor circa drei Jahren nach Europa importiert, entwickelt sich zum wirtschaftlichen Renner. Mit 300.000 verkauften Exemplaren rechnet man 1988 allein in der BRD; innerhalb eines Jahres steigerte sich das Marktsegment Mountain-Bike am gesamten Fahrradverkauf von sieben auf 20 Prozent.

Was ist dran am Berg-Fahrrad? Ein gedrungener kräftiger Rahmen, 18 Gänge, breite Stollenreifen. Als Querfeldein -Gefährt auf die Besonderheiten des lockeren Untergrunds wie Sand und Schotter konstruiert, gilt es heute als modischer Trendsetter, als Inbegriff des urbanen Tretgefühls.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hat es als „ideales Stadtfahrrad“ gekürt, weil es sehr robust und universal einsetzbar sei. Hohe Bordsteinkanten und Kanaldeckel, tückisches Kopfsteinpflaster und Straßenbahnschienen werden sicher überwunden. Laut Schätzungen kurven 95Prozent aller Mountain-Bikes durch das „Dickicht der Städte„; nur eine kleine radikale Minderheit von fünf Prozent führt sie ihrer ursprünglichen Bedeutung zu, dem Bergeinsatz. Und genau hier beginnen Kritik und Tadel.

Querfeldein, über Stock und Stein, „offroad“ im unwegsamen Gelände. Bei diesen Extra-Touren der Mountain-Biker kann es zu Umweltbelastungen und Landschaftsgefährdungen kommen. Dieter Popp vom „Bund Naturschutz in Bayern“ warnt, daß auch das Mountain-Bike Vegetationsschäden im sensiblen Ökosystem der Alpen hervorrufen könne: „Langgezogene Fahrradbremsspuren in alpinen Matten sind Erosionsansätze par excellence.“ Daß die Mountain-Biker sich als „Bergziegen“ betätigten und die industrielle Werbebotschaft des „offroad-Einsatzes“ beherzigten, zeigten die „'Mutproben‘ auf abschüssigen Almwiesen und Gletscherbereichen“.

Auch Horst Kahn-Klöckner, Bundesgeschäftsführer vom ADFC, haut in die gleiche Kerbe, daß „das Mountain-Bike auf Bergsteigen und zum Querfeldeinfahren nichts zu suchen hat“. Er schränkt jedoch ein, daß es von der Technik und der Muskelkraft her gar nicht möglich sei, feuchte Wiesen zu überrollen. „Entweder man bleibt stecken oder die Kette blockiert.“ Die Werbung würde technische Einsatzmöglichkeiten des Mountain-Bikes vorgaukeln, so Hahn -Klöckner, die es in Wirklichkeit überhaupt nicht gebe. Daneben werden immer wieder Klagen laut, daß Mountain-Biker die Kreise der Wanderer einengen und in Rückzugsgebiete des Wilds vordringen würden. Der Wanderer würde gescheucht, das Wild verscheucht.

Die Moutain-Bike-Propagandisten verstehen die ökologische Hysterie nicht. Ganz im Gegenteil fühlen sie sich umweltbewußt und naturschutzverbunden, im Einklang von Mensch und Natur. Andy Heckmair, Vorstandsmitglied des Deutschen Alpenvereins (DAV), wehrt sich gegen die Panikmache. „Wir lärmen nicht, wir stinken nicht, wo in Gottes Namen schaden wir?“ Der Wahlspruch des DAV, von seinem Ersten Vorsitzenden Dr.Fritz März, lautet: „Lieber 1000 Fahrräder in einem Alpental als 100 Autos.“ Ein österreichischer MTB-Promoter wird drastischer: „Was tut ein Mountain-Biker anderes als fluchen, schwitzen, schnaufen, wenn er Blähungen hat, furzen und wenn er einen Wanderer vor sich hat, klingeln.“ Doch dieses Wortgeklingel kann nicht überdecken, daß die Mountain-Biker schon etwas auf dem ökologischen Kerbholz haben. Bei der Gründung einer „European Mountain Bike Organisation“ vor einem Vierteljahr in Corvara (Südtirol) wurden, um dem organisatorischen und naturzerstörerischen Wildwuchs zu begegnen, ein Wettkampf -Reglement erlassen und „Zehn Goldene Regeln“ zur Schonung der Umwelt aufgestellt.

Horst Hahn-Klöckner vom ADFC sieht durch die „Wald- und Wiesenwerbung“ der Herstellerfirmen für das Mountain-Bike das Fahrrad zum ersten Mal in seiner Geschichte mit einem umweltfeindlichen Image behaftet. „Die Berge“, so Hahn -Klöckner, „leiden nicht unter zwei, drei Mountain-Bikern. Gegenüber dem Skifahren ist das Mountain-Biking ein Witz.“ Deckungsgleich mit dem Deutschen Alpenverein empfiehlt der ADFC für den Urlaub in den Alpen die Anreise mit der Bundesbahn und die Benutzung des Fahrrades vor Ort als umweltschonende Alternative zum Umweltsünder Automobil. „Wir dürfen nicht vom Hauptproblem, dem Autofahren, ablenken und und statt dessen auf eine Randgruppe, die Mountain-Biker, stürzen“, will Hahn-Klöckner die Relationen wieder zurechtrücken.

Bei der Zweiten Mountain-Bike-Dolomiten-Ralleye, veranstaltet von der „Freedom Action Sport Group“ Anfang Oktober in Südtirol, wurde das sportive Freizeitvergnügen zum alpinen Hochleistungssport. 120 Gipfelstürmer und Kamikazeabfahrer mußten über vier Pässe rund um den Gebirgsstock der Sella pedalieren, mußten 2200 Höhenmeter rauf und runter überwinden. Bewundernd sprach der Ansager von den „Freuden und Leiden des extremen Genusses“, womit er die Symbiose von Hedonismus und Masochismus vor prächtiger Bergkulisse trefflich charakterisierte. Im Eifer des Wettkampf-Gefechts übersahen einige Mountain-Biker schon mal die Mahntafeln „Schont die Wiesen!“ und schnellten die Almmatten hinab, anstatt reglementsgemäß die Schotterpisten zu benutzen.

Auch für das Sport-Sponsoring ist die junge aufstrebende, dynamische Sportart ein gefundenes Fressen. Der Grundig -Konzern mit einem altväterlich-angeknacksten Image belastet, versucht, mittels Mountain-Biking ein modernes Profil zu kreieren. Deshalb stampften die Werbemanager großspurig den „Grundig Challenge Mountain Bike World Cup“ aus dem Boden.

Viele Urlaubsorte und Fremdenverkehrsregionen in den Alpen sind auf den fahrenden Zug „Mountain-Biking“ aufgesprungen. Neben einer Handvoll anderer Sportart-Neuschöpfungen wie Snowboarding, Swingboo, Gleitschirmfliegen, Paragliding und Riverrafting gelten auch die Mountain-Bike-Angebote der sportiv-jugendlichen Image-Aufpeppung. So lockt zum Beispiel das Salzburger Land mit einem dichten Netz von Mountain-Bike -Verleihstationen. In österreichischen Fremdenverkehrs -Insereraten wird offeriert, das Mountain-Bike im Sommer mit Seilbahnen und Lifts auf die Berggipfel zu transportieren. Das autofreie Zermatt im Schweizer Wallis hat eine eigene Piste für Mountain-Bike-Fahrer eröffnet, weil es im letzten Jahr immer wieder zu Konflikten zwischen Wanderern und Bergradlern gekommen war.

Was tun? Thomas Wilken, Mitarbeiter der Arbeitsgruppe „Sport und Umwelt“ beim Allgemeinen Deutschen Hochschulverband, formuliert drei Voraussetzungen für ein umweltverträgliches Mountain-Biking: „Erstens darf nur noch auf befestigten Wegen gefahren werden. Zweitens müssen geeignete Routen und Wegenetze ausgezeichnet werden. Und drittens muß die Mountain-Bike-Werbung weg vom Querfeldein -Image.“ Weiterhin plädiert Thomas Wilken dafür, daß nicht zwanghaft jede Sportart an jedem Ort ausgeübt werden müsse. Deshalb sollten sogenannte „Sportnutzungsprofile“ für Fremdenverkehrsorte und -regionen erarbeitet werden.

Weil die Alpen als eines der letzten großen Ökosysteme schon durch den traditionellen Sporttourismus belastet seien, sieht Dieter Popp vom „Bund Naturschutz in Bayern“ die ungebremste Welle von Modesporterscheinungen, die sich schnell zu Massenbewegungen mit einer kaum kontrollierbaren Eigendynamik entwickeln können“, als reale Gefahr. Auch wegen der Auswüchse einer Sportart wie dem Mountain-Biking ist sich Popp „mit Umweltminister Alfred Dick einig, daß es zu einer Einschränkung der Auswirkungen der sportlichen Aktivitäten im Alpenraum kommen muß“.

Günter Ermlich

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