Anführungsstriche

■ Die Schwierigkeiten, Verbrechen beim Namen zu nennen

Zur Nazi-Zeit hieß sie Reichskristallnacht. Danach auch: in mancher Provinzzeitung steht bis heute Reichskristallnacht, einfach so, wie etwa neulich im 'Trierischen Volksfreund‘. Nichtmal Anführungsstriche, nichtmal das zum Distanzieren so praktische Wörtchen „sogenannte“ davor. Letzteres liest man in der 'Frankfurter Rundschau‘: Gestern beim Bericht über das Bischofswort zu den Juden-Pogromen (das die Variante mit den Anführungsstrichen bevorzugt) gelangte das Wörtchen sogar in die fette Unterzeile. Von wem so genannt (und nicht nur genannt, sondern auch ausgeführt): das hätte wohl nicht mehr in die Zeile gepaßt. Das wissen wir ja auch, und ein Zeitungstext darf schließlich nicht umständlich umschreiben, darf nicht stammeln und nicht stottern, und schon gar nicht dürfen ihm die Worte fehlen. Auch nicht für Vorgänge, die sich nicht kurz, klar, wahr auf den Begriff bringen lassen. Wer sogenannte schreibt, hat diesem Zwang zur griffigen Formel Genüge getan, überdies seine antifaschistische Pflicht erfüllt, und Reichskristallnacht darf dann trotzdem da stehen: So weiß wenigstens jeder, was gemeint ist.

Taz und 'Süddeutsche‘ schreiben von Juden-Pogrom und November-Pogromen, so selbstverständlich, als handele es sich um längst gängige Begriffe. Das ist gutgemeint und trotzdem falsch. Denn es ignoriert, daß diese Namen gegen Reichskristallnacht nicht die geringste Chance haben. Was deutlich wird in der mündlichen Rede: Wer Juden -Pogrom sagt, beeilt sich hinzuzufügen, er meine eben diese Reichskristall-, äh, Reichspogromnacht, diese sogenannte. Verheddert sich. Vielleicht läßt sich dieses schrecklich schöne Wort ja deshalb nicht so leicht durch ein anderes ersetzen, weil es die nachträgliche Verharmlosung des massenhaften Mordes mitenthält. Weil es ausspricht, daß verschwiegen wird.

Am gründlichsten hat die 'FAZ‘ nachgedacht. Sie vermeidet das wohlklingende Kristall, nennt das Kind beim Namen und schreibt Reichspogromnacht, aber vergißt, die Anführungstriche wegzulassen. Wer zu lange über etwas nachdenkt, tut am Ende bekanntlich genau das, was er partout vermeiden wollte. „Reichspogromnacht„ steht da in der Unterzeile auf Seite 4 - in den winzigen Strichen vorne und hinten steckt das ganze deutsche Dilemma, um alles in der Welt bewältigen zu wollen, was sich nicht bewältigen läßt: Ein Lehrstück über die Wiederkehr des Verdrängten.

Christiane Peitz