Serbische nationalistische Welle ebbt ab

Kosovo Polje ist das Organisationszentrum der serbischen Nationalisten / Rechtsradikale heizen serbische Bewegung an  ■  Aus Belgrad Christian Kreutzer

Millionen sollten es werden, die für die serbische Sache auf die Straße gehen. Doch niemand war zu sehen. Belgrad blieb am Wochenende ruhig. Ohne Begründung wurden die angekündigten Demonstrationen abgesagt. Die nationalistische Kampagne der serbischen Parteiführung ist nach der Konferenz des Zentralkomitees (ZK) des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens in der letzten Woche zurückgenommen worden. Schreckt der serbische Parteichef Slobodan Milosevic nun doch vor einer Kraftprobe mit der Regierung zurück?

Noch am Donnerstag voriger Woche sah es anders aus. Tausende hatten sich in Pristina versammelt, um in die nahegelegene Stadt Kosovo Polje zu ziehen, die als Zentrum für die serbische Erweckungsbewegung gilt. Und immer wieder wendeten sich die Sprechchöre an die serbischen Parteiführer, jetzt nicht aufzugeben.

Die Demonstranten singen immer wieder ihr Kampflied: “ Slobo, Slobodan - wir sind Serben“. Manche tragen Schilder, auf denen der serbische Parteichef Slobodan Milosevic abgebildet ist, andere schwenken die jugoslawische Fahne.

Die Serben waren an diesem Tag zusammengekommen, um wieder einmal gegen den „albanischen Terror“, gegen den „konterrevolutionären albanischen Nationalismus“, so die offizielle Terminologie, zu protestieren. Zahllose Gerüchte über Vergewaltigungen an serbischen Frauen und Männern machen die Runde. Aufsehen erregte z.B. der Tod eines serbischen Bauern, der behauptet hatte, von mehreren jungen Albanern vergewaltigt worden zu sein. In seinem Darm jedoch wurden keine Samenspuren gefunden, und der Verdacht lag nahe, daß er sich die Verletzungen selbst mit einer abgebrochenen Flasche zugefügt hatte.

„Das sind alles Schauermärchen, mit denen die Albaner als unzurechnungsfähige Gewalttäter hingestellt werden sollen“, erklärt mir ein kroatischer Journalist. „Die Vergewaltigungsrate ist in Kosovo bestimmt nicht höher als in anderen Landesteilen, und es werden mindestens ebensoviele albanische wie serbische Frauen angegriffen, und das ist schlimm genug. Deswegen aber unterschiedslos ein ganzes Volk zu verurteilen, ist reine Demagogie.“

Bisher hatte auch noch keine Journalistin die Gelegenheit, mit einer vergewaltigten Frau zu sprechen, konnte noch kein Pressevertreter eines der angeblichen vielen abgebrannnten Häuser sehen, die von den Albanern angesteckt worden sein sollen. Ebenso ist es bisher keinem ausländischen Journalisten gelungen, in eines der abgelegenen Bergdörfer nahe der albanischen Grenze vorzudringen, wo die serbischen Bewohner angeblich systematisch vertrieben werden.

Bekannt ist dagegen, daß vor drei Jahren, im Herbst 85, in Kosovo Polje das Komitee gegründet wurde, das heute die meisten der „meetings“ mit Hilfe der von Serben dominierten Arbeiterräte in den Betrieben organisiert. Gründer waren der Ingenieur Bosko Budemirovic, der nationalistische Militante Kosta Bulatovic, der Kaufmann Miroslaw Solevic, der in Serbien heute der zweitpopulärste Mann nach Milosevic ist, sowie der ehemalige Oberst der Geheimpolizei „Udba“, wie sie früher genannt wurde, Mico Sparavalo. Diese Gründer fingen bald darauf an, ihre meetings in die Hauptstadt Belgrad zu verlegen. Märsche wurden organisiert. Bulatovic und ein weiteres Mitglied des Komitees, Bogdan Kecman, standen mehrfach in Verdacht, gute Kontakte zu rechtsradikalen Kreisen in Serbien und in Montenegro zu unterhalten. Große Teile der serbischen Parteiführung scheinen seit neuestem im Komitee mitzumischen, so z.B. Zorban Sokolovic, Sekretär des Zentralkomitees der serbischen Kommunisten. Mit dabei ist auch Stefan Marinkovic, Gastredner in Kosovo Polje. Er ist derzeit Vizeprädisdent des Komitees. Vorsitzender ist der Ex -Geheimdienstoberst Sparavalo. Parteichef Milosevic unterhält offiziell keine Verbindungen zum Komitee. Waren aber noch vor einem Jahr die Mitglieder des Komitees gezwungen, konspirativ tätig zu sein, so können sie jetzt offen auftreten. Nur der letzte Schritt zur legalen Öffentlichkeit ist den Mitgliedern bisher versagt geblieben: der Bund des Sozialistischen Werktätigen Volkes, in Slowenien ein Instrument zur Demokratisierung, weigerte sich bisher, die Nationalisten in seine Reihen aufzunehmen.