Autonome Frauen ohne Zentrum

Das Gießener Frauen- und Lesbenzentrum wurde Ende Oktober geräumt / Innenministerium stellte Strafanzeige gegen Besetzerinnen  ■  Aus Gießen Antje Friedrich

„Ich bin draufhin erst mal ins Büro geschossen“, erklärte Ekkehard Dammann, parteiloser Stadtrat in Gießen auf Anfrage, was er zu der kürzlich erfolgten Räumung des Gießener Frauen- und Lesbenzentrums sagen kann. Er habe als Vertreter des Oberbürgermeisters zunächst im Innenministerium angerufen: Dort sei ihm lapidar erklärt worden, daß mit der Aktion beabsichtigt worden sei, so wörtlich, „dafür zu sorgen, daß nicht noch mehr junge Menschen im Strafregister auftauchen“. Als Dammann jetzt erfuhr, daß neben der Räumung auch noch eine Anzeige auf die Zentrumsfrauen zukommt und Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt wurde, wollte er in einem Brief an den hessischen Minister des Inneren wissen, ob es nicht sinnvoller sei, den Frauen einen neuen „Nutzungsvertrag anzubieten und Anzeige sowie Strafantrag zurückzuziehen“.

Dies sei seiner Ansicht nach der beste Weg, „junge Menschen aus dem Strafregister herauszuhalten“. Eine Antwort des Innenministeriums liegt bislang noch nicht vor. Ein kreischendes Geräusch hatte am frühen Samstagmorgen des 22. Oktober die AnwohnerInnen der Gießener Alicenstraße geweckt. In Gesellschaft einiger uniformierter Polizeibeamter hatten Bauarbeiter Eisenstangen zurechtgesägt, mit denen sie eine der zuvor von ihnen aufgebrochenen Türen des autonomen Frauen- und Lesbenzentrums verriegelten. Eine andere Holztür war bereits geknackt und durch eine Stahltür ersetzt.

Die Räumung des besetzten Gebäudes hatte sich bereits einen Tag zuvor angekündigt: Ein nach Angaben der Zentrumsfrauen „ungewöhlich hohes Polizeiaufgebot war in der Stadt präsent“. Seit längerer Zeit hatten Polizisten das Hinterhaus observiert, und in der Nacht wurden die Personalien einiger Frauen kontrolliert, die an einer Filmveranstaltung im Zentrum teilgenommen hatten. Sie wurden am Ausgang von Polizisten abgefangen.

Die Geschichte des Frauen- und Lesbenzentrums in der Alicenstraße beginnt 1980 mit seiner Besetzung. Ein Jahr später schlossen die Zentrumsfrauen einen Mietvertrag mit dem Land Hessen als Eigentümerin. Dieser wurde mit Wirkung vom 31.August dieses Jahres von den damaligen Unterzeichnerinnen gekündigt, da sie selbst bereits seit längerer Zeit nicht mehr im Zentrum arbeiteten. Die jetzigen Zentrumsfrauen unterbreiteten dem Land Hessen daraufhin einen Vertragsentwurf für ein neues Nutzungsverhältnis, der jedoch kategorisch abgelehnt wurde.

Für die Gießener Frauen, deren erstes Zentrum bereits 1973 geräumt wurde, und deren zweite und dritte Bleibe durch Kündigungen der jeweiligen Mitevertäge verloren ging, gab es keine Alternative zu den genutzten Räumen. Sie besetzen das Hinterhaus zum zweiten Mal und arbeiteten weiter wie bisher

-bis zum besagten Samstag.

Als mehrere eilig benachrichtigte Frauen an diesem Morgen in der Alicenstraße eintrafen, war nicht mehr viel zu machen. Zwar war es ihnen noch einmal für kurze Zeit gelungen, in die Räume zu kommen und „ein paar Sachen zu retten“, wie eine der Zentrumsfrauen berichtet. Kurz darauf verhinderten aber hinzukommende Polizisten „durch einige Rempeleien“ das Hinaustragen weiterer Gegenstände.

Gegen Mittag hatte sich eine Spontandemonstration von rund 80 Frauen formiert und auf Transparenten und durch Sprechchöre lautstark die Erhaltung des Zentrums gefordert. Auch am Montag darauf demonstrierten einige Frauen. Zuvor hatten sie in der Fußgängerzone durch Gespräche und Flugblätter auf ihre Situation aufmerksam gemacht.

Für die Zentrumsfrauen sind die Räumung sowie die Pläne für die drei noch in Gießen besetzten Häuser ein erneutes Zeichen für Bestrebeungen, Gießen zu einer „noblen, finanzträchtigen Universitäts-, Einkaufs- und Kongreßstadt zu machen“ und davon abzulenken, daß die Stadt „mit mehreren tausend US-Soldaten ein wichtiger Nato-Stützpunkt und die größte Nachschubbasis der USA in Westeuropa ist“. Verschiedene Baumaßnahmen mit militärischem Zweck, wie der kontinuierliche Ausbau des US-Depots oder der Hubschrauberlandeplatz, haben das ihrer Ansicht nach in der Vergangenheit bewiesen.

Am 5.November findet in Gießen eine Frauen- und Lesbendemo gegen die Räumung des Frauenzentrums statt; 11 Uhr Frauenzentrum, Alicenstr.18